Action Teaching Performancefestival „Die Unendlichkeit des Augenblicks. Aufführungskünste nach Beuys“

02.-06.06.2021

Grüne Energie
Grüne Energie

Das Kulturbüro Wuppertal hat vom 2. bis 6. Juni 2021 ein Festival veranstaltet, das sich wissenschaftlich und künstlerisch mit der Wirkkraft der Kunst von Joseph Beuys auf performative Tendenzen in der Gegenwartskunst auseinandersetzte. Gerade im performativen Bereich hat Joseph Beuys der zeitgenössischen Kunst entscheidende Impulse verliehen. So führte das Performancefestival internationale sowie lokale Künstlerinnen(-kollektive), deren Arbeit unterschiedlichste Berührungspunkte zur Aktionskunst von Beuys aufweisen, und Wissenschaftler zusammen. Das Festival fand an verschiedenen Orten in Wuppertal statt.

Das Festival wurde kuratiert von Bettina Paust (Kulturbüro der Stadt Wuppertal), Barbara Gronau (Universität der Künste, Berlin) und Timo Skrandies (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf).

Bazon Brock und die Denkerei mobil veranstalteten am 2.06.21 von 12-22 Uhr das Happening „‘Ich trete aus der Kunst aus!‘ Eine höchst verführerische Anleitung von Joseph Beuys zur Überbietung der Künste durch die Autorität der Kulturen“ – in Anlehnung an das 24-h-Happening von 1965 – mit Heinz Bude, Robert Fleck, Peter Heeren, Annekathrin Kohout, Anne Linsel, Hans Ulrich Reck, Silke Rehberg, Stephanie Senge, Wolfgang Ullrich und Lambert Wiesing – in Kooperation mit der Galerie Grölle pass:projects, Wuppertal. Organisatorische Betreuung: Jürgen Grölle, Marina Sawall, Julia Wessel.

Bazon Brock leistete wie Joseph Beuys einen fundamentalen Beitrag zur Weiterentwicklung performativer und partizipativer Konzepte in der Kunst des 20. Jhds. Gemeinsam nahmen beide Künstler z.B. am 24-Stunden-Happening der Galerie Parnass 1965 in Wuppertal teil. Aus dem ‘Action Teaching’ der 1950er Jahre entwickelte Bazon Brock eigene performative Vermittlungsformen wie z.B. die ‘Besucherschule’ auf mehreren Documenten. So wie Beuys mit seiner Formel “Jeder Mensch ist ein Künstler” einen erweiterten Kunst- und Werkbegriff geprägt hat, der die Grenzen zwischen Kunst und Leben verschoben hat, so hat dies Bazon Brock mit seinem Credo “Jeder Mensch ist ein Denkmal” vollzogen. Als „Denker im Dienst und Künstler ohne Werk“ prägen unzählige Aktionen und Lecture Performances sein Werk, ebenso wie seine Tätigkeit als Professor für Ästhetik und Kunstvermittlung an mehreren Hochschulen, zuletzt an der Bergischen Universität Wuppertal. Um den 100sten Geburtstag seines Weggefährten zu begehen, hat Bazon Brock verschiedene Gesprächspartner*innen eingeladen, um sich in jeweils einstündigen Etappen dem Gedankenkosmos von Beuys zu widmen und einzelne Aspekte seiner Kunst und seiner Person in einer Lecture Performance von Mittag bis Mitternacht zu beleuchten.

Termin
02.06.2021, 11:30 Uhr

Veranstaltungsort
Wuppertal, Deutschland

Veranstalter
Kulturbüro der Stadt Wuppertal, Denkerei mobil, Galerie Grölle pass:project

Veranstaltungsort
Livestream

‘Ich trete aus der Kunst aus!‘ Eine höchst verführerische Anleitung von Joseph Beuys zur Überbietung der Künste durch die Autorität der Kulturen

12-h-Happening mit 11 Akteuren

Der zutreffende Vorwurf, Beuys habe wenig Ahnung von den sozialen, kulturellen und politischen Voraussetzungen heutigen gesellschaftlichen Lebens gehabt, hat Beuys' enormer Wirkung in der Öffentlichkeit nicht geschadet. Warum? Alle Gesellschaften werden im Kern von Überzeugungen zusammengehalten, die herkömmlich in der Autorität von Religionen, Mythen und Legenden, Philosophien, Ideologien oder Herkunftswissenschaften liegen. Kurz: Alle Gesellschaften werden durch die normative Kraft des Kontrafaktischen bestimmt.
Deshalb sind selbst in technologisch/wissenschaftlich hoch entwickelten Gesellschaften kontrafaktische Behauptungen wie Fake News, Verschwörungstheorien oder Privatmythologien wirksam.

Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Die Künste haben spätestens mit Dada bewiesen, wie sinnvoll Unsinn ist. Sogar die Aussage, „Was ich jetzt sage, ist Unsinn“ ist ja sehr sinnvoll. Die Sinndichte der Kommunikation erhöht sich durch die Verbreitung von beliebigen sinnlosen Behauptungen, weil jedermann etwas Sinnvolles zu sagen meint, wenn er die Sinnlosigkeiten der anderen kennzeichnet.

Eine alte Volksweisheit besagt – und sie wird von Strategen bestätigt: Wenn Du etwas durch Willkür in die Welt setzt und zur Geltung bringen willst, wenn Du etwas Falsches getan hast, musst Du es nur systematisch und unbeirrt weiterverfolgen. Dann hat es dieselbe Wirkung wie die Durchsetzung der Wahrheit selbst. Das ist die Erklärung dafür, dass viele geschichtliche Gesellschaften höchst leistungsfähig und lange stabil waren, obwohl ihre Grundannahmen im heutigen naturwissenschaftlichen Sinne hanebüchener Blödsinn gewesen sind.

Beuys hat diese Zusammenhänge intuitiv verstanden. Deshalb richtete er sein Interesse auf keltische Spiritualität oder schamanistische Praktiken, um uns auf den Zusammenbruch riskanter Gewissheiten von Gesellschaften des westlichen Typs vorzubereiten.

In der Region des Niederrheins, aus der Beuys stammt, fand ein mythenfähiges Experiment der Konfrontation von keltischer Spiritualität (die Kelten hatten jahrhundertelang das ganze cisalpine Europa kulturell geprägt), germanischer Führungsautokratie und römischer Rechtsstaatlichkeit statt. Die verschiedenen Fassungen der Hermann-, Siegfried-, Nibelungensagen berichten davon. Das bestimmte nicht nur die deutsche Romantik und den Kulturnationalismus. Heute ist dieser Konflikt universal geworden: zum Beispiel im clash of cultures oder in der Konfrontation zwischen Künsten und Kulturen.

Künste und Wissenschaften leben von der Autorität von Individuen als Autoren. Kulturen leben aus der Autorität der Kollektive. Mit der Autorität der Künstler und Wissenschaftler ist es nicht mehr weit her. Weltweit fordern Kulturen strikte Unterwerfung der Künste unter das Regime der Kollektive. Damit ist aber auch der Anspruch von jedermann, als Individuum ernst genommen zu werden, aufgekündigt. 600 Jahre Kunstentwicklung kommen an ihr Ende.

Wenn Beuys mit dem Satz „Ich trete aus der Kunst aus“ nicht gemeint haben sollte, dass der Tod seine Künstlerlaufbahn beendet, dann scheint er das Ende der geschichtlichen Entwicklung der Künste akzeptiert zu haben. Waren nicht schon viele seiner Aktionen Rücküberführungen der Künste in die Kulturen. Nach „Zurück zur Natur“ nun „Zurück zur Kultur“?

siehe auch: