Magazin Stilwerk Magazin

Erschienen
01.12.2021

Herausgeber
Alexander Garbe

Erscheinungsort
Hamburg, Deutschland

Issue
Nr. 2/2021

Seite 118 im Original

Kolumne Bazon Brock

Feiern als Pflicht

Wir können nicht mehr feiern, weil wir ständig feiern, beklagen viele. In der Tat: Wer sich selbst und seine Aktionsbereitschaft im Diskoglanz zu feiern glaubt, genießt am Ende nur noch die Erschöpfung als Genuss der bestandenen Anstrengung im ChillOut. Wer hat nicht die Erfahrung gemacht, wie anstrengend heute Feiern ist? Für viele ist die gefeierte Freiheit von Arbeitszwängen sogar anstrengender als die Arbeit selbst. Unübertrefflich brillant hat ein Fünfjähriger die Erzieherin mit der Frage düpiert: „Tante, müssen wir heute wieder tun, was wir wollen?“

Nichts ist offenbar anstrengender als die Freiheit, die man eigenständig als Möglichkeitsraum auszufüllen hat. Da ist die Eingliederung, ja die Unterwerfung unter Rituale, vor allem das heute entscheidende Ritual der Auslöschung von Individualität im kollektiven Rausch durch Musikbeschallung, tatsächlich ein Beleg für die Unfähigkeit zu feiern. Wenn ich alltäglich als Konsument die Instant-/ Soforterfüllung meiner Wünsche erreichen kann, wird die Sonderzeit der Feier überflüssig.

Die tiefgehendste Begründung der Unfähigkeit zu feiern liegt in der Tatsache, dass wir zum Beispiel alle glauben, wir würden uns bei der Einladung zu unserem Geburtstag feiern wollen, anstatt der Kraft, dem Geist oder dem Genius zu huldigen, der uns beseelt. Zu feiern wäre also die Mission, der wir individuell in unserem Leben verpflichtet sind. Wobei diese Selbstverpflichtung zum Teil familiären Bindungen oder ideologischen Ausrichtungen bzw. religiösen Überzeugungen oder beruflichen Zielsetzungen entspricht oder aus ihr abgeleitet sein kann.

Feiern ist also nicht Selbstfeier und schon gar nicht Selbstgenuss bis zur Selbstvergessenheit. Man feiert mit anderen, gerade weil durch deren Anwesenheit die eigene Selbstverpflichtung auf eine Lebensmission bestärkt wird. Der Unfähigkeit zu feiern entspricht der in vielen Studien belegten Rückgang der Leidenschaft. Je höher die enthusiastische Zielsetzung desto grösser, das mögliche Scheitern. Also feiern wir im ahnungsvollen Schongang bestenfalls den Wunsch, es möge nicht bös enden.