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Erschienen
23.07.2022

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

Issue
Nr. 30 (2022)

Seite 34 im Original

„Eine Anmaßung“

Der Kunsttheoretiker Bazon Brock über die wahren Wurzeln des Documenta-Streits in Kassel. Interview von Thomas Tuma

Die Kasseler Documenta und den umtriebigen Kunsttheoretiker Bazon Brock, 86, verbindet eine lange Geschichte: Schon auf der Documenta 4 richtete Brock 1968 eine „Besucherschule“ ein, die das Verständnis für zeitgenössische Kunst stärken sollte. Umso mehr litt Brock zuletzt an Chaos und Antisemitismus-Krach rund um das einst gefeierte Kunst-Event.

Herr Professor Brock, die Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann musste jüngst ihr Amt niederlegen. Ist der Streit um das Event damit beendet?

Ich kann nur hoffen, dass das erst der Beginn der Aufarbeitung ist – und damit auch eines Neuanfangs der Documenta als Idee. Schormann ist nur ein Sündenbock.

Worum ging’s bei dem Documenta-Desaster wirklich?

Längst nicht mehr um Kunst, sondern nur noch um Kulturalismus. Das führte dann auch dazu, dass die Verantwortung irgendwelchen Kuratoren-Kollektiven der Südhalbkugel überlassen wurde. Auch Kochen, Familie, Sprache oder eben Antisemitismus sind Kultur. Kultur wiederum ist Nicht-Kunst.

Für Sie ist die Documenta 15 die beste und schlimmste in der Geschichte des Events zugleich. Können Sie uns das kurz erklären!

Die Documenta 15 führte uns auf extrem schmerzhafte Weise die Realität von Ideologie vor Augen. Und zwar nicht irgendeine aus Indonesien, sondern unsere eigene. Schon als 2015 die Flüchtlingsströme unkontrolliert in Deutschland ankommen konnten, habe ich gesagt: Mit einer Millionen Migranten holen wir uns auch jede Menge Menschen ins Land, die uns künftig den Antisemitismus abnehmen.

Sie scheuten schon damals keinen Skandal.

Begreifen Sie doch! Wandel durch Anpassung bedeutete nicht, dass sich die Einwanderer an uns orientierten, sondern dass der Westen sich am Osten und nun im Fall Documenta eben am Süden ausrichtet…

… weil wir vielleicht den Dialog suchen?

Nein, weil wir schlicht keine Ahnung haben. Es gab schon bei allen faschistischen Systemen die Tendenz, dass die Kultur die Oberhoheit über die Kunst gewinnen wollte. Hinter der Autorität künstlerischer Autorenschaft der Kunst steht nämlich keine Bank, kein Papst, kein Konzern. Sie ist wirksam gerade als ganz individuelle Leistung. Alle Kulturen sind dagegen auch Verblödungssysteme, die ihre Bürger den gleichen Ideologien unterwerfen wollen. Das alles konnte auch in Kassel von Anfang nur schiefgehen.

Der Documenta-Aufsichtsrat unter Kassels Oberbürgermeister soll sich nun selbst reformieren. Kann das gutgehen?

Genauso gut könnte man versuchen, Antisemitismus zu reformieren. Das ist ja gerade die Quelle des Irrsinns und so eine deutsche Allmachts-Idiotie, die auch dazu führte, dass da von den verantwortlichen deutschen Damen, Claudia Roth inklusive, Kollektive eingeladen wurden, deren Background man schlicht nicht kannte oder verstand. Es gibt nun mal viele höchst antisemitisch geprägte Länder. Und dann erschrickt man, wenn die Realität plötzlich in Kassel aufschlägt und will das alles nicht wahrhaben. Artikel 5 des Grundgesetzes sagt, dass Kunst und Wissenschaft frei seien. Da diese Idiotinnen aber Kunst mit Kultur gleichsetzen, haben sie jetzt ein Riesenproblem mit der Freiheit.

Könnte man das Kasseler Chaos als gesamtgesellschaftliche Performance sehen, die weit über das antisemitische Wimmelbild des indonesischen Kollektivs Ruangrupa hinausgeht?

Das wäre nur originell gewesen, wenn es wirklich um Kunst gegangen wäre. Aber die Kulturalisten haben die Documenta usurpiert und absichtlich pervertiert – zugunsten der Autorität von Politikerinnen, Parteien, Gewerkschaften und und und… Es ist eine einzige Anmaßung, dass wir in Kassel den kulturellen Süden repräsentieren wollten. Und die Documenta ist systematisch und absichtlich kaputtgemacht worden von der deutschen Politik, die alle Berufungsgremien nach ideologischen Faktoren besetzt hat: Multikulturalismus, Identitätspolitik und so weiter. Kein Mensch weiß, was das sein soll.

Die Kunst als Opfer?

Als Opfer des Kulturalismus, ja. Weil richtig verstandene Kunst sich mit Autoritäten anlegt. Das wissen Potentaten wie Xi, Erdogan oder Putin schon längst. Die gleiche Denke herrscht mittlerweile aber bei uns.

Haben Sie noch Hoffnung für eine Documenta 16?

Es kommt darauf an, ob alle Verantwortlichen endlich die Bereitschaft zeigen, ihr grauenvolles Kultur-Geblubber sein zu lassen und zu dem zurückzukehren, worum es geht: Kunst und die Leistung von Individuen statt irgendwelcher Kollektive. Ist doch interessant: Jeder will sich heute als Individuum behaupten, kauft aber den gleichen Dreck wie alle anderen bei Amazon oder Karstadt. Echter Individualismus ist eine geistige Leistung, für die man lernen und hart arbeiten muss. Meine Hoffnung ist indes begrenzt, dass die Politik das überhaupt unterstützen will.

Weil Sie nicht an die Selbstreinigungskräfte dieser Politik glauben?

Weil Herrscher immer schon von unser aller Dummheit profitierten. Das war zu Zeiten Friedrichs II. schon so. Und das ist auch unter einem SPD-Kanzler oder einer Grünen-Ministerin so. Bei uns wird zwar niemand umgebracht wie in vielen Diktaturen, aber mundtot gemacht. Im Ergebnis ist beides Existenzvernichtung.

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