Buch Stephanie Senge: Konsumbibliothek

Stephanie Senge: Konsumbibliothek. Wien 2022
Stephanie Senge: Konsumbibliothek. Wien 2022

Mit Beiträgen von Stephanie Senge, Melanie Ardjah, Bazon Brock, Eva Paulitsch, Eva Tillig und Wolfgang Ullrich. Anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Kunstverein Göppingen. 

Erschienen
01.01.2022

Herausgeber
Ardjah, Melanie

Verlag
Verlag für moderne Kunst

Erscheinungsort
Wien, Österreich

ISBN
978-3-903439-40-5

Umfang
544 S.

Einband
Broschur

Seite 63 im Original

Stephanie Senge im Gespräch mit Bazon Brock über die Suffragetten wie auch die heutige Rolle der Frauen als starke Konsumentinnen

„Frauen kann man abnehmen, dass sie ein genuines Interesse haben, Gerechtigkeit in der Gesellschaft einzuklagen. Und das heißt, wenn Stephanie Senge die starke Konsumentin aufruft, zu sagen, die Wirtschaft, jetzt an Absatzzahlen von Waren gerechnet, sei abhängig vom Votum der Frauen, wenn die Frauen sich dessen bewusst sind, dass sie über den Abverkauf von Waren entscheiden, weil sie Kriterien der Qualität ins Spiel bringen - denn sie benutzen diese Kriterien der Qualität selber in ihrem Einkaufsverhalten -, dann ist das heute ein Feminismus, der sachlich richtig, psychologisch glaubhaft und vor allem alltäglich praktizierbar ist.“
Bazon Brock

Bazon Brock im Gespräch mit Stephanie Senge über „Die starke Konsumentin“
23.6.2020, 15.30-17.00 Uhr

Senge: Frauen haben in Deinem Leben immer eine sehr besondere Rolle gespielt. Was hast Du bisher von Frauen gelernt und erfahren, was Du selbst nicht hast/kannst?

Brock: Europa, wie wir es seit ungefähr 1000 n. Chr. kennen, also das große, moderne Europa, ist aus der Verehrung von zwei Frauen in ihren besonderen Rollen hervorgegangen.
[Der Marienkult beginnt mit dem ersten Marienbildnis, das rund um das Jahr 1000 im Tympanon des Portals einer Kathedrale zu sehen ist.] Zur gleichen Zeit entsteht, von den spanischen Troubadours entwickelt, der Minnedienst an der höfischen Dame. Diesen beiden Modellen von Autorität, denen sich die Männer unterwerfen – das ist das Entscheidende –, verdankt Europa seine Geschichte. In gewisser Weise begann das mit einer Art Lähmung. Nehmen wir den Minnedienst als Beispiel, in dem der Dame alle Avancen gemacht wurden, alle direkten Ansuchen auf sinnlichen Genuss und den Liebesakt, aber immer im Bewusstsein, dass das nicht real stattfinden konnte. Denn die eigentliche Bedeutung der Frau besteht gerade darin, die Äußerungen dieser sinnlich explosiven männlichen Zugriffsart zu provozieren, sie aber zugleich als unerfüllbar darzustellen. Das ist tatsächlich das zivilisatorische Moment schlechthin gewesen: Die höfische Dame hat dafür gesorgt, dass aus den Horden von umherziehenden Rabauken halbwegs zivilisierte Wesen wurden, die allmählich eine Hierarchie der Werte entwickelten. Das Motiv der Unerfüllbarkeit der Wünsche erhielt das Wünschen aufrecht. Das Bedürfnis nach Erfüllung wurde auf andere Ziele und Herausforderungen übertragen, wie die Eroberung fremder Länder, Entdeckertum, Erfindungsgeist. Statt einen Roman zu erleben mit allen Risiken des Scheiterns, schrieb man einen Roman, der der eigenen Logik nach niemals scheitern kann, selbst wenn alle beteiligten Hauptpersonen scheitern. Die Selbstzivilisierung der Männer bestand also darin, zu lernen, ihre Begierden den verehrungswürdigen Damen gegenüber in höchster Form zu äußern, die Erfüllungssehnsucht und die dadurch entfachten Kräfte jedoch auf andere Ziele zu lenken.
Bei der christlichen Verehrung der Gottesmutter Maria lief das sehr ähnlich. Da ging es aber nicht um Annäherung im Sinne der Erfüllung von lebensweltlichen Zielen, sondern um die Möglichkeit, einen Frauentyp für die Männer zu kreieren und in der Figur der Gottesmutter darzustellen, der der Frau eine göttliche Würde verlieh. Die Marienverehrung hat ihren Ursprung darin, dass ja nur die Frauen eine göttliche Eigenschaft haben, nämlich die, Leben geben zu können. Dem Schöpfergott wurde die Fähigkeit, die Welt zu schaffen, zugesprochen. Er formte menschliche Wesen aus Lehm, aber die wahre Fähigkeit, Leben zu geben durch Gebären, ist den Frauen vorbehalten.

Senge: Und heute? Wer bildet die Frauen aus?

Brock: Die Natur schenkt die Fähigkeit, zu gebären, da ist keine Ausbildung erforderlich. Tatsache ist, dass Verehrung in hohem Maße mit dem Innehaben von Macht parallel gesetzt wird. Das verlangt eine Art Erhöhung der Kraft der zu verehrenden Frauen dadurch, dass sie auch intellektuell, von ihren Kenntnissen her brilliert haben, wie z.B. durch Rezepturen für die Wundheilung oder die Verfügung über die historischen Rückbeziehungen, Märchenerzählungen, Stammeskunde etc. Und vor allen Dingen dadurch, dass sie das Haus und den Herd hüteten, wenn die Männer hinauszogen.

Senge: Haushalten?

Brock: Das beginnt erst mit Luthers Erziehung zur Familienbildung. Viel früher ist der Begriff „oikos“, daher Ökonomie. Der „oikos“ ist der Herd als das Zentrum des Hauses, wo die Möglichkeiten des Überlebens aufbereitet werden, nämlich durch die Verwandlung des Rohen in Gekochtes. Diese von der Frau gehütete Feuerstelle, die nie ausgehen sollte, ist das Zentrum der Ökonomie. Aus dieser Ökonomie, das bedeutet nichts anderes als Hauswirtschaftsführung, ergab sich dann die Haushaltung als der Bereich, in dem die Frau ihre Kraft und Überlegenheit zeigte. Männer waren nicht in der Lage, dies auf gleiche Weise zu tun.

Senge: Wenn wir jetzt in die etwas jüngere Zeit gehen: Was hältst Du von der Suffragetten-Bewegung und von der „MeToo“-Debatte?

Bazon: Die Suffragetten waren weitgehend durch ihre eigenen intellektuellen Fähigkeiten ausgezeichnete Zeitgenossinnen, die sich Gedanken darüber machten, wie die gesellschaftliche Entwicklung weitergehen sollte, in nationalstaatlicher, sozialer und religiöser Hinsicht. Und sie hatten selber großes Interesse daran, die Gesellschaft friedlich zu entwickeln. Also haben sie versucht, die Männer im Sinne des Marienkults und Minnedienstes zu beeinflussen, indem sie sagten: Wir sind nicht nur Einzelgängerinnen als Frauen von bestimmten Männern, sondern seit der Antike ist bekannt, dass die Frauen des Stammes die Männer als kollektive Gruppe in den Kampf schickten. Es ist nicht nur bei Aristophanes als Kuriosum besprochen, dass Männer, die die Tendenz haben konnten, sich dem Kampf zu entziehen, weil sie Angst vor der Niederlage hatten, von ihren Frauen ermutigt wurden: „Wir stehen hinter euch. Ihr kämpft im Namen eurer Familien, eurer Häuser!“ So auch die Suffragetten, die in hohem Maße Anteil daran hatten, den Frieden zum Thema zu machen, siehe Bertha von Suttner mit der ältesten Friedensparole „si vis pacem para bellum“ – „Wenn Du den Frieden willst, musst du dich dem Ernstfall gewachsen zeigen“.

Senge: Auf mein Thema gekommen bin ich, weil ich von Deinem Band 2 der „Kabarettistischen Vernunft“ so begeistert bin, wo Du über den Multiperspektivismus redest und sagst, dass man den anderen so wertschätzen muss, wie sich selbst. In der Zeit der Emanzipation in den 68er Jahren warst Du ein prägendes Element. Du hast erzählt, dass es damals einer Kränkung gleichkam, einer Frau in den Mantel zu helfen. Ich muss sagen, ich genieße das heute geradezu. Nicht zuletzt in Anbetracht der aktuellen „MeToo“-Debatte frage ich mich, wann unsere Gesellschaft so weit sein könnte, dass beide, Frauen und Männer, stark genug sind, um sich gegenseitig wirklich zu würdigen, so dass man auch wieder diese Strategien der Verehrung mehr in den Alltag hineinbringt.

Brock: Wenn die Debatte um die Gleichberechtigung damit beginnt, dass die natürlich gegebene Differenz – Frauen können Leben geben, haben also göttliches Vermögen – nicht mehr ins Feld geführt wird, sondern dass wir alle Menschen mit zwei Armen, zwei Händen, zwei Augen, zwei Beinen und einem ausgestatteten psychischen Apparat sind, dann wird über die Frau nicht mehr gesagt, sie sei die Hüterin des Hauses, sie sei für die Brutpflege zuständig, sie müsse geschützt werden in dieser Funktion; dann ist dieser Schutz hinfällig, und das bedeutet, der Mann geht nach dem Restaurantbesuch nicht mehr als Erster aus der Tür, um draußen einen möglichen Angriff abzuwehren. Wenn sie Hosen trägt, kann sie voran die Treppe hochgehen, der Mann kann ihr nicht mehr unter den Rock schauen (wollen). Fallen alle diese höfischen Differenzbildungen weg, wird der Umgang miteinander nicht mehr nach hergebrachten Regeln gestaltet, sondern bleibt unbestimmt. Man kann nur mehr oder weniger Gleichgültigkeit üben, das heißt dann Toleranz. Das ist heute die Hauptfunktion von Toleranz: „Macht doch, was ihr wollt, es interessiert mich nicht.“, während „tolerare“ ja eigentlich gerade das Gegenteil bedeutet, nämlich Andersartigkeit ertragen und ihr Würdigung zugestehen können.

Senge: Du bist ein großer Hölderlin-Verehrer, da habe ich diesen Satz gelesen über das Großartige im Fremden. Was meinst du, warum haben so viele Männer eigentlich Angst vor Frauen?

Brock: Grundlegend ist hier wieder die Überlegenheit, Leben geben zu können. Um die genealogische Reihe fortzuführen, ist der Mann auf die Frau angewiesen. Dann kommt dazu, dass die Frauen etwa im Sexualverkehr von sich aus bestimmen können, ob etwas befriedigend ist oder nicht. So haben die Männer immer Angst davor, von den Frauen als nicht genügend klassifiziert zu werden. Frauen haben die Kraft, sich mit mehreren Männern einzulassen. Die Männer haben sich bemüht, hierüber die Kontrolle zu gewinnen – sie haben es mit Vorhangschlössern und eisernen Keuschheitsgürteln und Einsperren versucht –, es hat nie geklappt. Daher bleibt immer die Ungewissheit, ob der Vater des gerade geborenen Kindes ein anderer ist als der angestammte Gatte. Wegen all dieser Unsicherheiten haben die Männer gegenüber Frauen immer das Gefühl der Unterlegenheit. Und der Unterlegene versucht ständig, dies durch maskuline Übertreibung auszugleichen. Das ist es, was der psychoanalytische Zugang besagt, und dieses Kompensationsbedürfnis spornt Männer dazu an, Großes zu tun. Insofern ist, wie Freud sagt, ein Großteil der kulturellen Hochleistungen von Männern damit motiviert, die Minderwertigkeit den Frauen gegenüber zu kompensieren, und zwar zu überkompensieren.

Senge: Was hast Du für Ratschläge für Frauen? Was können sie einüben?

Brock: Verehrungswürdig zu sein, heißt, alle Phantasien zu provozieren. Frauen sollten Verehrungswürdigkeit annehmen, sich auf Formen der Verehrung einlassen. Es kommt nicht darauf an, Wünsche zu erfüllen, sondern es gilt, aus dieser Dynamik heraus ein spannungsreiches Beziehungsgeflecht aufrechtzuerhalten, so dass Handlungsdynamik entsteht, aber ohne den Tod der Wünsche in ihrer Erfüllung zu riskieren. Natürlich siehst du den Tod darin, wenn jemand vergewaltigt wird. Das ist gerade das Aufzeigen der vergeblichen Wertschätzung, das führt nicht zum Ziel, da bricht alles zusammen, und man ist zurück in der allgemeinen Naturwildheit vor jedem zivilisatorischen Gedanken.

Senge: Wie war das mit der Bugwelle von Frauen, von der Du mir erzählt hast?

Brock: Das Problem ist, dass Frauen heute aus der l´Tatsache heraus, dass sie Frauen sind, keinen Aktionsraum mehr bekommen. Sie nehmen am sozialen Diskurs teil und da kommt ihnen keine besondere Aufmerksamkeit mehr zu. Würde man ihnen z.B. als Schönheit Aufmerksamkeit schenken, wäre das genauso verdächtig, wie wenn sie versuchen, als Karrierefrauen oder als Powertrauen Männer an Härte noch zu übertreffen. Mit anderen Worten: Es gibt keine erkennbare, von allen akzeptierte Rolle einer zugleich schönen und starken und lebensfreudigen und frommen und intelligenten Frau, obwohl es heute mehr solcher Frauen gibt als je zuvor. Die Rolle Ist unbestimmt, und diese Unbestimmtheit ist nicht gerade förderlich für die Würdigung von Frauen als Frauen.

Senge: Und wie war das jetzt mit der Bugwelle?

Brock: Es wird Frauen nicht mehr erlaubt – oder sie dürfen das nicht mehr für sich reklamieren –, als Erscheinung selbst wahrgenommen zu werden, statt als Rollenträgerin. Früher öffnete sich die Tür, die Hausfrau und Gastgeberin trat in den Raum, und vor ihr öffnete sich eine Art Bugwelle der Einschätzung ihrer Attraktivität als Persönlichkeits-Aura, als Erscheinung, die Staunen hervorriet. Ich kannte einige, denen das wieder gelungen ist, das war allerdings in den 1960er, 70er, 80er Jahren. Diejenigen, die es heute versuchen, z.B. Hollywoodstars, die schaffen es am allerwenigsten, das ist nur noch Unterhaltungsmache. In der Realität unserer heutigen Gesellschaft ist das kaum möglich. Da bleibt also nur das Frauenbild: energetisch aufgeladen, aktionsfreudig, schön, agil, wendig im Sinne von hoch anpassungsfähig, mutig, nicht zurückzuhalten, keine Vorurteile.

Senge: Wie Alice Schwarzer über Gleichberechtigung sagt, geht es natürlich immer um beide Geschlechter. Also die Männer müssen doch genauso verehrt werden.

Brock: Nein, bei Männern ist Verehrung immer an Macht gebunden. Da sie platterdings nichts anderes kennen als Macht, sei es auf intellektueller, funktioneller oder finanzieller Ebene. Männer werden immer dadurch attraktiv, dass sie mächtig sind. Aus der Macht resultiert Sinnlichkeit. Solche Männer, wenn es auch nicht immer die wirklich großen, fähigen, gläubigen sind, finden immer ihre Scharen von Verehrerinnen und Verehrern.