Buch Performance im medialen Wandel

Performance im medialen Wandel. Hrsg. von Petra Maria Meyer. Paderborn/München: Fink, 2006.
Performance im medialen Wandel. Hrsg. von Petra Maria Meyer. Paderborn/München: Fink, 2006.
  • Petra Maria Meyer, Performance im medialen Wandel Einleitender Problemaufriss
  • Paul Good, Der indifferente Körper der Performance bei Roman Signer
  • Martin Zenc, Luigi Nono - Marina Abramovic. Eingeschriebene, bewegte und befreite Körper zwischenAufführungspartitur, Live-Elektronik und freier Improvisation /Performance
  • Klaus Schöning, Ars Acustica-Ars Performativa
  • Antje von Graevenitz, Zur Konkurrenz medialer Wirklichkeiten in Performances von Nam Jun Paik, Joseph Beuys und Aernout Mik
  • Friederike Rückert, Die choreographierte Kamera Im Schachspiel von Maya Deren
  • Petra Maria Meyer, Medialisierung und Mediatisierung des Körpers. Leiblichkeit und mediale Praxis bei Valie Export und Nan Hoover
  • Wolfgang Meisenheimer, Das Denken des Leibes und der architektonische Raum Im Zeitalter der medialen Verwandlung
  • Stephan Brinkmann, Die Spur der Zeit. Die Philosophie Henri Bergsons und der japanische Butoh-Tanz
  • Petra Maria Meyer, Der Schatten als andere Bild-Matrix. "Light-Composition" von Nan Hoover
  • Sabine und Ansgar M. van Treeck/Jjozef Kubica, Photographien der Performances
  • Erna Rauscher-Steves /Martin Zenck, Zwei reflexive Beobachtungen der Performance "Zwei Tische" von Michael Riessler und Jean-Pierre Drouet
  • Elisabeth Oy-Marra, Alison Knowles: "Play Paper", Salzau 2005
  • Bazon Brock, Action teaching und Performance
  • Else Gabriel, FLU - (Virus und Werk). Über Performance, Publikum, Peinlichkeit, Konserven und ein Mittel gegen alles in der eigenen Arbeit
  • Birgit Jensen, Künstler für Künstler. WG/3ZI/K/Bar im Düsseldorfer Künstlerverein Malkasten
  • Wolf-Dieter Ernst, Logik und Funktion der Prothese
  • Tom Duscher, Generative Medien und Performativer Prozess
  • Kerstin Abraham, Nur noch Hände. Hantieren mit Gerät. Etwas über Werkzeug und Aktion
  • Norbert M. Schmitz, Der Diskurs über Performance und der Mythos des Authentischen Eine Kunstform als Übung zivilisatorischer Alltagsästhetik
  • Burkhard und Cornelia Schnepel, Bilder vom Sega. Inszenierungen von Authentizität auf Mauritius.

Erschienen
01.01.2006

Herausgeber
Meyer, Petra Maria

Verlag
Fink Verlag

Erscheinungsort
München, Deutschland

ISBN
3770543157

Umfang
501 Seiten

Einband
broschiert

Seite 345 im Original

Action teaching und Performance

Aus einem Vortrag in Salzau vom 22.04.2005.

Aktion in Formationen

Es ist immer wieder erstaunlich, zu sehen, dass in den Überlegungen zu einer Geschichte des Performance-Begriffs, das Genre des action teaching nicht hinreichend zur Kenntnis genommen wird. Mit Alan Kaprow habe ich in den 50er Jahren erstmals über die Frage des „Let it happen“, „Laß es sich ereignen“ oder „Es ereignet sich“ im Sinne der Vermittlung eines Ereignisses diskutiert. Für uns war der Vorläufer des Performancebegriffs eindeutig der Happening-Begriff. Kaprow wies darauf hin, dass das Problematische am Begriff des Happenings sei, dass man den Eindruck gewinnen könnte, als sei man weder als Zuhörer noch als Akteur überhaupt beteiligt, denn es ereigne sich ja ohnehin etwas. Kaprow gab zu bedenken, dass das ein fatales Zeichen für eine postfaschistische Ideologie sein könnte, wenn man seitens des Publikums davon ausgehen würde, dass das Happening ohne jedwedes eigenes Zutun des Rezipienten geschähe. Außerdem lässt sich der Begriff des Happenings nicht hinreichend bestimmen, vor allem dann nicht mehr, wenn ab etwa 1959 jede Hausfrau beim Umstoßen von Sektgläsern dem Nachmittagskränzchen „Happening“ zurief. Das Resultat war, dass durch solche Äußerungen der Begriff verschlissen wurde. Die Konsequenz aus den Überlegungen, die nur Kaprow und ich realisiert haben, war dann, sich dem Begriff der Aktion zu stellen und zu prüfen, ob er als Rückkopplung, als Zuschreibung oder als Verantwortlichkeit noch wahrnehmbar werden könne. Bei diesen Vorgängen des Rückbezugs war wiederum zu berücksichtigen, dass sie natürlich sowohl eine präfaschistische und eine faschistische Tradition hatten, als auch eine anarchistische Tradition im Sinne des Aktionismus aufriefen. Aber hier war inzwischen längst ein Begriffsbild bedeutend geworden, das durch das action painting nach dem Zweiten Weltkrieg genau die informelle Dimension dieses Begriffs betonte. Ganz wesentlich für die Verfahren im Informel war deren hochgradige Ritualisierung, jedoch ohne den Anspruch auf normative Geltung im Gepäck. Statt dessen waren wir um den Ansatz zu einer nichtnormativen Ästhetik bemüht. Analog zu anderen Ausdrucksformen existierte bereits, mit Jackson Pollock als der Leitgestalt, das action painting, es kam der action film hinzu und zudem noch die action music, für die Militärmusik eine der großen Quellen gewesen ist. Die Verbindung von Militär und action music ist insofern bedeutsam, als beide genuin an die Entstehung des Begriffes der Formation gebunden und somit an den Begriff der Information geknüpft sind. Für die Konzeption des action war das unheimlich wichtig, da im action sich ebenfalls eine Formation einstellt, in der sich Akteure bewusst zum Sachverhalt des Happenings verhalten. Sobald dies eintritt, entsteht Aktion, oder wie es dann später generalisiert hieß, Performance. Indem man sich zu etwas verhält, stellt man sich in einer Formation ein und produziert damit eine Information. Das ist ein barocker, militärischer Begriff, von dessen Ursprung heute keiner mehr etwas weiß. Er bedeutet aber tatsächlich: Erzeugung einer Information durch das Stellung nehmen. Im ritualisierten Kontext der Bewegung von Körpern, also der verschiedenen Individuen als Soldaten, entstand eine Formation, z.B. ein Karree, und der lieu-tenant nahm eine Position ein, die ihn als jemanden auszeichnete, der zu dieser Formation Stellung nahm. Deshalb hieß er lieutenant, da er der Stellvertreter derjenigen Person war, auf den diese Formation zurückging, – und das war der Feldherr auf dem Hügel. Wenn ein Feldherr diese Formationen zu einem Bild zusammenfügte, dann handelte es sich gleichsam um das erste action teaching eines Feldherrn. Er produzierte auf dem Hügel das kriegerische Geschehen als Ereignis vermittels der Rückbindung der Akteure, nämlich einzelner Soldaten, einzelner Kompanien, einzelner Bataillone und einzelner Führer, auf dieses Geschehen. So hatte er die Möglichkeit, eine informelle Zuordnung zu schaffen, die durch Nichtnormativität gekennzeichnet war. Das normative Durchsetzen von Befehlen führt stets in eine Katastrophe, weil die Wirkung, die ein Befehl im Sinne eines sinnhaften Eingreifens hat, nur dann zu Stande kommt, wenn es eine Rückkoppelung gibt. Wenn aber ein Befehl verändert wird durch die Rückkoppelung, die er produziert, dann handelt es sich nicht mehr um einen Befehl. Diesen Zusammenhang auf die Künste übertragen, überkamen uns Zweifel, ob es überhaupt einen Sinn mache, eine Partitur zu schreiben, einen Text, ein Bildschema, einen Formrahmen festzulegen. Auch die Behauptung, dass es darum zu tun sei, nur noch Vorgaben zu exekutieren und dann kommt schon ein Werk zu Stande, stellten sich als eklatanter Irrtum heraus. Zu betonen ist, dass diese Überlegungen nicht in der Kunsterfahrung entstanden sind, sondern wie gesagt im Militärwesen und dort zu einer wesentlich größeren Bedeutung gelangten, als in der Kunst. Auf diesen Zusammenhang beriefen sich Kaprow und ich, und wir verwiesen auf die amerikanische Kritik an den totalitären Regimen und ihrer militärischen Strategie. Die Kritik am Totalitarismus, ob in Form des Faschismus, ob in Form des Universalsozialismus stalinscher Prägung, war von vornherein mit einer Kritik an dem Geltungsanspruch der Normativität verbunden. Für uns war es unglaublich interessant zu beobachten, dass das preußische Militär eine Strategie entwickelt hatte, die ohne Ausführung einer Direktive von Oben operierte. Statt es zu einem bloßen Werkzeug zu machen, wurde das preußische Militär jederzeit veranlasst, selber Mitwirkender zu sein und die völlige Autonomie der Entscheidung auszuspielen. Die Übertragung dieser Verhältnismäßigkeiten auf den Besucher eines Happenings war das Spannende, denn wir wollten sehen, was mit dem Teilnehmer passiert, wie er darauf antwortet, wenn die Gesamtheit der Performance um den Faktor action erweitert wird. Die Zuschauer und Zuhörer sollten lernen, sich nicht als passive Rezipienten, sondern als Akteure zu verstehen, die in einer bewussten Analogie zu Kriegsbeteiligten zu sehen sind. Im Krieg kann es ebenfalls keinen passiv außen stehenden Betrachter geben, denn selbst der würde entweder durch herumsausende Kugeln oder marodierende Horden traktiert oder von der Zivilbevölkerung als Geisel genommen und somit vom Krieg überzogen. Diese Überlegungen waren 1957/58 abgeschlossen.

Professionalisierung des Publikums

Seitdem haben Kaprow und ich unsere Aktionen eben nicht mehr Happening, sondern action teaching genannt. Da es noch kein professionales Publikum gab, trainierte ich dann – wie beim Militär – mit dem Publikums die Fähigkeit, eine aktive Rolle als Rückkopplungsgeber für ein Geschehen zu spielen. Eine weitere Konsequenz war, mich ab 1965 in den Lehrbetrieb zu begeben, und dafür zu sorgen, dass diesem Typus der nichtnormativen ästhetischen Demonstration von Künstlern ein entsprechender Partner zur Verfügung steht. Der klare Vorsatz war, die Zuschauer, die Zuhörer und die Teilnehmer zu professionalisieren, was im Bereich der Wirtschaft schon längst der Fall war. Zu dieser Zeit war die soziale wie ökonomische Realität der Avantgarde in der Kunst weit voraus. Schon Mitte der 1960er Jahre haben Hunderttausende von Konsumenten Zeitschriften für die Professionalisierung von Konsumenten wie „Test“ und „D-Mark“ gelesen. Die Professionalisierung hat den Konsumenten dazu befähigt, Urteile über Produkte abzugeben, die am Markt angeboten werden und durch Beurteilung die Hersteller dazu zu zwingen, die Produkte zu ändern. Nun hatte aber auch die Professionalisierung des Kunstpublikums fortzuschreiten, gerade im Hinblick auf das Bilden von Formationen hatte ein Suche einzusetzen, die Kaprow und ich mit der Performance-Kunst in Verbindung setzten.

Kult und Kunst

Es war absehbar, dass es eine neue Begründung von Ritualisierungen geben musste. In dem Augenblick, in dem sich aus der Kritik an der totalitär-faschistischen und der totalitär-universalsozialistischen Formierung bis ungefähr 1950 bei uns mehr und mehr soziale Zusammenhalte auflösten, – was bis heute bis in die Familienstrukturen hinein zu spüren ist – , desto deutlicher wurde uns bewusst, dass die Rituale nicht mehr wie bisher dem kulturellen Selbstverständnis entsprangen. Betrachtet man Kulturen als Verbände, die ihren Zusammenhalt als Überlebenskampfverbände durch Ritualisierung, durch die Ausprägung einer Liturgie realisieren und organisieren, so sieht man schließlich Kulturformen mit einer gewissen normativen Verbindlichkeit etabliert. Die Frage war nun, wie man eine entsprechende Ritualisierung für den Verlust an kultureller Ritualisierung mit Normativitätsanspruch in der Kultur durch eine von Künstlern entwickelte Ritualisierung ergänzen könne. Diese Ritualisierung muss auch die Entfaltung einer entsprechenden Liturgie umschließen. Wenn Kulturen aber den Geltungsanspruch auf Normativität und Ritualisierung nicht mehr durchsetzen können, und damit Einbußen an sozialer Bindungsfähigkeit erleiden und jegliche Liturgisierung verlieren, dann muss das auf der Ebene der Künste und der Wissenschaften kompensiert werden. Die Kompensation für die zusammenbrechenden Kulte, Liturgien und Ritualformen der Kulturen im Westen war die Performance. Performance ist als eine Antwort aus dem Bereich der Künste und Wissenschaften auf den Verlust von liturgischer Repräsentation der Kulte zu verstehen. Die entscheidende Zielsetzung ergibt sich aus der Frage, wie eine nichtnormative Ästhetik oder eine nichtnormative Handlungsanleitung Geltung erlangen könne. Als Vorbild für nichtnormative Handlungsanleitungen ist der preußische Generalstab zu sehen, der 1806 im Widerstand zu Napoleon sich überlegte, wie er überhaupt aktionsfähig werden könne, wenn eine zentrale Kommandostruktur nicht zur Verfügung steht. Man bildete Verbände nach dem Muster des „Marquis“, einer Untergrundbewegung, die im spanischen Erbfolgekrieg erfolgreiche Testläufe im Widerstand bestritten hatte. Die Völker, die gegen Napoleon operierten, wie Russland, Preußen und Spanien, bildeten Muster aus, die wiederum in den Operationen des Vietnamwiderstands gegen die Amerikaner auftauchten. Zwischen diesen Mustern gibt es ganz direkte und unmittelbar explizite Beziehungen, die Möglichkeiten bereithalten, nichtnormative Geltung durchzusetzen. Diejenigen, die Wissenschaft oder Kunst betreiben, bilden jenseits der Kulturen, zu denen sie gehören, eine neue Art der Sozietät. In dieser müssen hochgradige Ritualisierungen, der Kult der Wissenschaften und der Kult der Kunst, stattfinden und in entsprechenden Inszenierungen zeremoniell aufbereitet werden. Man kann sich zu der These aufschwingen, dass je höher das Ideal nichtnormativer Durchsetzung situiert ist, desto wichtiger ist gleichzeitig die Betonung der performativen Aspekte kultischer Manifestation von Liturgien und deren Inszenierung im Realverlauf.

Negative Theologie der Moderne

Doch wir Modernen müssen mit einer theologischen Begründung arbeiten, mit einem Moment negativer Theologie, um mit der Unmöglichkeit umgehen zu können, durch einen Bezug auf eine Ontologie, auf eine Ästhetik oder auf Philosophien der Absolutheit Letztbegründungen mit Geltungsanspruch durchzusetzen. In Bezug auf die ontologische Dimension ist alles das, was dogmatische Wahrheitsansprüche erhebt, ohne weiteres mit wenigen Argumenten außer Kraft zu setzen. Dennoch muss eine einzige Rechtfertigung des ontologischen Aspektes bestehen bleiben, denn das Einlassen auf den Exkurs der Ontologie ist die Voraussetzung dafür, ihn als falsch behaupten zu können, da einzig in der Behauptung der Falschheit wiederum der Bezug auf die Wahrheit möglich ist. Wenn ich sage „Ich lüge“, ist das wahr, es sei denn, es würde daran gezweifelt, dass ich lüge. Doch wüsste jemand, aus welchem Grunde ich lüge, würde derjenige in einen unseligen Regress hinein geraten. Nachdem niemand mehr in der Lage ist, das Wahre, die Gutheit, das Schöne schlichtweg zu behaupten, besteht die einzige Möglichkeit auf Verbindlichkeit des Nichtnormativen in einem Moment der Akzeptanz. Die Akzeptanz geht auf die Beobachtung zurück, dass das, was gerade gezeigt wird, nicht das ist, was es zu sein behauptet. Der Bezug auf die Wahrheit, die keiner kennt, ist nur dann möglich, wenn etwas konkret gegeben ist, das möglicherweise etwas Falsches zur Darstellung bringt und als ein solches zu erkennen wäre. Wenn niemand mehr das Ideal der Ganzheit oder den Begriff der Schönheit repräsentieren kann, wenn nur mit Fragmenten, Trümmern, Bruchstücken, kleinen belanglosen Teilchen, mit Dreck operiert wird, dann hat man die ganze Moderne mittels dieser Operationen zu verstehen, die um die absolute Bedeutungslosigkeit des Materials kreisen. Die Moderne verweist auf das Unvermögen, die ideale Ganzheit zu repräsentieren. Wenn nun gezeigt wird, dass man nur Fragmente, Bruchstücke, Trümmer in den Händen hält, dann ist die Erkennbarkeit des Sachverhaltes – „Es sind nur Fragmente“ – immerhin eine Entwicklung im Hinblick auf die unmögliche ontologische Begründung. Wenn man „Fragment“ sagt, muss man denknotwendig das Gegenteil, also das Ganze denken. Wenn man das Hässliche im Einzelnen sieht, muss man denknotwendig auf den Begriff der Schönheit rekurrieren. Und wenn man die Falschheiten und Banalitäten konstatiert, muss man denknotwendig auf den Begriff des Schönen bezogen sein. Mit dieser Methode der negativen Theologie und der negativen Dialektik operierte in der Tat die Avantgarde. Darum ist „Mr. Fluxus“ George Maciunas, in diesem Punkt nicht einmal ein Moderner, denn er arbeitete immer mit einer klassizistischen oder virtuell-totalitären Geste, die aber nicht zu zeigen vermochte, dass sie selbst nur der eine Teil eines Ganzen war. Ich habe eine blutige Auseinandersetzung mit Maciunas genau um diese Frage geführt. Er hat sich zwar als „Mr. Fluxus himself“ begriffen, aber nicht verstanden, dass diese neuen Formen nicht wieder den selben Anspruch auf normative Geltung erheben durften. Er war ein Mann, dem sein ganzes Leben Leid tat, der das Gefühl hatte, dass er zu spät gekommen war. Dieser Mann war nicht vor totalitären Durchsetzungsstrategien gefeit, und hätte gerne die Rolle eines hochrangigen Kommandeurs mit normativen Geltungsanspruch gespielt. Er wollte sich als der Boss inthronisieren, weshalb sich Beuys und ich uns mit Maciunas entsprechende Auseinandersetzungen geliefert haben. Beuys hat dann Maciunas mit dem Piece „Der Chef“ verulkt.

Inkarnation und Performance

Um den totalitären Gesten im Kunstbetrieb und im Ausstellungswesen zu begegnen, und den Kunstdiktaten von Kuratoren etwas entgegen zu setzen, habe ich als Beispielgeber im Zuge der Documenta 1968 erstmals eine Besucherschule zur Professionalisierung des Publikums veranstaltet. Wenn die Documenta irgendetwas anderes sein sollte als die totalitäre Geste eines Kurators, der gewissermaßen per Dekret verlesen lässt, wo hinzugucken, was interessant und das Wichtige sei, dann muss sich die Ausstellung als etwas anderes beweisen, nämlich als Ausstellung von etwas, was ausgewählt wurde aus vielen Kunstwerken. Es muss die Notwendigkeit der Wahl zu sehen sein, um das Gewählte würdigen zu können. Das Nichtgewählte, aus dem ausgewählt wurde, seinerseits zu zeigen, habe ich die Regierung, die Stadt Kassel und das Bundesinnenministerium mit entsprechenden Anträgen aufgefordert und sie damit zur Weißglut gebracht. Aber ich insistierte darauf, dass die Besucher erst somit die Gelegenheit bekommen zu begreifen, was nichtnormativ ästhetisch wirksam zu sein bedeutet. Gleichzeitig erhalten die Besucher die Mittel, um sich über Kriterien für die Unterscheidung von Kunst/Nicht-Kunst klar zu werden, auch im Hinblick auf die Kunst-Leben-Problematik. Es sollte gelingen, dass sich der Teilnehmer mit den Grundbestimmungen jeder Art von Wirkung, – sozialer, politischer, menschlicher, individueller–, auseinandersetzt. Und dass es sich um Zuschreibungen, Urheberschaften und um eine irgend bestimmbare soziale Verantwortung handelt, die auf die Trinität von Inkarnation, Inkorporation und Insignifikation oder eben symbolischer Repräsentation bezogen sind. Inkarnation kennt man als theologischen Begriff, obschon er ebenfalls auf der Ebene der Alltagserfahrung angesiedelt ist, wie im Falle des Essens. Wenn ich sage „Das ist mein Leib“, weiß jeder die Wahrheit dieser Aussage zu schätzen, denn ohne Essen und Trinken ist der Leib überhaupt nicht existent. Die theologische Begrifflichkeit der Inkarnation, – Christus als Oblate –, ist nichts anderes als die Folgeleistung aus einer anthropologischen Vorgabe, die uns von Natur aus zur Inkarnation verpflichtet. Deswegen kann das Inkarnationsmotiv heute auf der Ebene der nicht mehr kulturell legitimierten, nicht mehr religiös legitimierten zivilisatorischen Akte der Begründung von Gemeinschaften, wie Wissenschaften und Kunst, wieder in den Vordergrund geschoben werden. Die Frage ist, wer denn jenseits der christlichen Botschaft „Dies ist mein Leib“ überhaupt der Stifter des Leibes durch Inkarnation ist? Die Antworten bleiben weit gefasst, in jeder Performance aber findet man immer eine Anspielung auf das Inkarnationsproblem. Das Inkorporationsprinzip findet man insofern repräsentiert, als der Performer selbst eine Rolle spielt. Er inkorporiert die Rolle eines Akteurs, eines Redners. Das Publikum inkorporiert die Rolle eines Zuhörers, eines Mitmachers oder Konsumenten, Käufers, Patienten als den wesentlichen professionalisierten Partizipationsformen. „Dies ist mein Leib“ kommt durch den Aspekt der Realpräsenz zum Ausdruck, Inkorporation wird zum Aspekt der sozialen Vermittlung von Rollen, die man spielt und die schließlich im Dreiklang von Leib, Leben und Werk in Erscheinung treten. Das sieht man in jeder Performance: sie thematisiert in jedem Aspekt die realphysische Anwesenheit des Performers und der Zuhörer, der Zuschauer, der Partner. In jedem Falle muss das Bewusstsein vorhanden sein, dass man jetzt eine Rolle spielt, eine ganz bestimmte definierte, symbolisch repräsentierte, die gedanklich-kognitiv auf Willensäußerungen und Gefühlsbewertungen verweist, die also Rückgriff leistet auf die Basis des Ereignisses, das sich als Bewegung in den Köpfen der Beteiligten abspielt.

Partizipation und Performance

Robert Filliou hat 1964 in Paris mit Hilfe von Daniel Spoerri formuliert, dass es vermutlich wenig Sinn mache, Performance an Stelle von Happening zu sagen. Als Modebegriff würde sie genauso schnell verschlissen werden. Uns blieb unmittelbar nichts anderes übrig, als uns auf den Begriff der Darstellung zu beziehen. Die Performance zählt zu den darstellenden Künsten und ihre Aktualisierung im Ereignis ist die Aufführung. Die Trainer in Politik, Wirtschaft und Sport benutzen selbst diese Unterscheidung des Inkorporations-, Inkarnations- und Repräsentationsschemas, wenn sie berichten: „Wir sind gut aufgestellt!“ Aufstellung, Auftreten und Aufführung sind in dieser Manifestation des Dreieinigkeitsaspekts von Inkorporation, Inkarnation und Insignifikation mittlerweile zum begrifflichen Inventar in der Unternehmens- wie in der Kunst- und Wissenschaftskultur geworden. Auf der Ebene der Begründung der darstellenden Künste entfaltete dann Filliou die bis dahin zentralen Überlegungen zur Entwicklung der Performance, und fasste sie in dem Band unter dem Titel „Lehren und Lernen als Aufführungskünste“ zusammen, bei Walther König 1970 veröffentlicht. Dieses Buch von Filliou ist bis heute die wichtigste systematische und historische Erörterung des Problems der Performance. Schon allein durch die bewusste Wahl der im Titel geführten Begriffe „Aufführung“ wie „Lehren“ wurde der Bezug zum action teaching deutlich markiert und von vornherein eine Form der Parallelität von Produktion und Rezeption angesprochen. Mit „Lernen“ war die partizipatorische Beteiligung des professionalisierten Zuschauers als Aufführungskünstler gemeint. Natürlich kann man auch versuchen, auf einer Akademie sich an der Performance zu beteiligen und dort lernen, das Palaver normativer Paradigmen durchzuarbeiten, von der Höhlenmalerei über das Aquarellieren zum Disegno à la Neoklassizismus und dem Informel getreu Methode. Schließlich ist man erfahren genug, sich auf das einzulassen, was man nicht gelernt hat. In der Kunst wie im Leben wird erst interessant, was geschieht, wenn man nicht mehr weiter weiß, wenn man nicht mehr kalkulieren kann, sondern sich auf das bezieht, was man weder lernen noch wissen kann, eben auf die Realität.

Authentizität und Irreversibilität

Man kann sich gewiss an die Realität binden, indem man physische Gefährdungen der eigenen Existenz zur Legitimationsgrundlage heranzieht. Jedoch sind Hungern, Dursten, Hasch, Aids keine Begründungen von nachdrücklicher Seriosität. Nietzsche ist ein solcher gefährdeter Kandidat gewesen, der sich im Bordell mit Syphilis infizieren musste, um als Philosoph und als Performer glaubwürdig zu werden. Wahre Performer suchen dagegen keine Bindungsstrategien des Absoluten zu erzeugen, sondern sie finden in der Performance eine Möglichkeit der Begründung des Glücks in der Vorläufigkeit. In der umfangreichen action teaching-Geschichte ist das Wissen um diese Dimension präsent, ohne dass über den eminenten Einfluss auf die Performancegeschichte ausreichend diskutiert würde. In der ganzen Welt fanden mehr als 1700 action teaching-Performances statt, von Japan über Israel bis nach Skandinavien, die sich u. a. gegen solche Äußerungsformen richteten, wie sie in der Fluxus-Geschichtsschreibung nach Maciunas vertreten sind. Im action teaching werden andere Konzeptionalisierungsversuche von Wirklichkeit unternommen, werden neue Möglichkeiten im Umgang mit Strategien der Kritik erzielt und darüber hinaus der Inkorporationsproblematik zu einer differenzierten Wirkungsgeschichte verholfen. Gemeinsam mit einigen Kollegen aus dem wissenschaftlichen Bereich, darunter Dietmar Kamper, Beat Wyss und Friedrich Kittler, bearbeitete ich 1991 in dem action teaching „Wir geben das Leben dem Kosmos zurück“ das Vorstellungsfeld einer Theorie der irdischen Lebensentstehung. In einer Wuppertaler Kiesgrube, in der auch der Neandertaler gefunden wurde, trafen zahllose Studenten ein, und gemeinsam schleuderten wir das Leben zurück ins All. Auf dem Film zu der Aktion sieht man deutlich das Streben der Künstler dokumentiert, sich erinnerbar werden zu lassen mit ihrem Werk. Die beschleunigten Prozesse sind zu sehen, wie auch berühmte Denkbewegungen versinnbildlicht sind. Denn mit dem Wurf des mit Lebensspuren imprägnierten Stein ist nicht nur ein Bezug zur so genannten Lebensspurtheorie hergestellt, nach der aus dem Weltraum kleine Meteoriten bei uns einschlugen, die imprägniert waren mit Lebensspuren, sondern zugleich bezieht man sich auf Adorno, der bereits über die Fallkurve eines geworfenen Steines Denkbewegungen auslöste. In dieser Performance ist die Frage nach Inkarnation, Inkorporation und Insignifikation als entscheidendes Moment thematisch, denn obwohl man auf die Realpräsenz Bezug nimmt und damit die Grenzen der Authentizität zu bestimmen sucht, benötigt man die Realpräsenz nicht, wenn man weiß, dass sich diese auch auf der Ebene der Simulation, der ästhetischen Repräsentation, der Insignifikation, darstellen lässt. Zwar kann man die Realpräsenz auch vermittels von Inkorporation oder Inkarnation herstellen, dann ist jedoch durch die Irreversibilität des Geschehens ein höhergradiger Kunstanspruch gefährdet. Sobald man sich auf die Irreversibilität einläßt, – eine umfassendere Variante dessen ist die Adornosche Formulierung der Inkommensurabilität –, weiß man, dass es sich um Authentizität handeln muss. Jede Performance hebt in der Entwicklung dieser Dreiheit als Einheit - Inkorporation, Inkarnation und Insignifikation - die Authentizität hervor, die in der Irreversibilität, in der Unwiederholbarkeit des Augenblicks des Ereignisses aufgerufen wird. Außerhalb des Bewußtseins, dass ein bestimmter Sachverhalt nie wieder so sein wird, gibt es überhaupt keine Würde und auch keine historische Bedeutung, denn was als Würde eines Objekts, eines Vorgangs, einer Zeit, einer Entscheidung oder als die Bedeutung eines Artefakts bezeichnet wird, ist eben gerade seine Einmaligkeit im Sinne des Nie wieder. Alles, was unser Leben konstituiert, ist ein lange Kette, deren Glieder Nie wieder heißen. Aus dieser ungeheuren Dynamik, aus dieser Dringlichkeit speist sich die Performance als Kunstform. In der Kunst von Alison Knowles kommt immer wieder zum Ausdruck, dass jede versuchte Wiederholung nur eine Bestätigung des Nie wieder ist. Die Würde dieser Akte besteht in ihrer historischen Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit. Inzwischen gilt es sogar innerhalb der Genetik als generelle Einsicht, dass das Wunder des Lebens oder das Wunder der Entwicklung im Kosmos tatsächlich auf der unglaublichen Unwahrscheinlichkeit des Zustandekommens beruht. Das gilt genauso für die Performance, die authentisch, weil irreversibel ist und somit impact geltend macht bis in die Mediendebatte hinein. Mittels der Medien, dem Film, dem Fernsehen, den Videos, der Photographie, scheint es uns jeden Augenblick möglich, die Auferstehung der Toten zu demonstrieren. Man braucht den Film mit Zarah Leander nur vorzuführen und schon ist sie wieder auferstanden. Das christliche Versprechen der Auferstehung der Toten ist durch die mediale Wiederholung, die Schleife, den Loop, die Reproduktion möglich. Der Einwand der Künste war der Hinweis auf einen diesbezüglichen Trugschluss, denn (glücklicherweise) sind wir selbst nicht mehr dieselben, da das Moment der Irreversibilität eins ums andere Mal greift. Von unserer Konstitution aus sind wir nicht in der Lage, ein wirkliches Wiederholen zu erleben. Man schaue sich bloß die eigenen Texte an, um darüber zu staunen, was man geschrieben hat und wer eigentlich jener Urheber war, der mit Hilfe von performativen Eingriffen, seine Wahrnehmung von Wirklichkeit entwickelte. Dabei ist die Entwicklung der Wahrnehmung von Wirklichkeit vordringlichstes Ziel der Performance. Wirklichkeit verstanden als das, was sie auch tatsächlich im philosophisch-ontologischen Schema bedeutet, nämlich das, was unserem Wollen, unserem Belieben, unserer Macht definitive Grenzen setzt. Wirklich ist nur das, was sich unserem Bilde nicht fügt.

Ohnmacht der Macht

Nun macht der Künstler die phantastische Erfahrung, dass er als Urheber die Entstehung eines Werkes nicht durch kommandohafte normative Durchsetzung seines Willens erzwingen kann, sondern dass er als Schöpfer Logiken der Entstehung folgt, die ihn im Nachhinein selbst überwältigen. Gerade in der Performance-Kunst gilt, dass das Resultat der Partizipation überraschend offen ist, dass in der leiblichen Dynamik permanent über die Voraussetzungen hinausgegangen wird, über die man ansonsten verfügt und für die man steht. In der Performance ist die Wirklichkeitserfahrung der Ohnmacht enthalten, die dem Geschehen seine Würde gibt. Selbst der Mächtigste arbeitet an der Grenze seiner Ohnmacht, selbst der Mächtigste ist wie der größte Künstler nur ein Kind seiner Zeit, ein Kind der Bedingungen, unter denen er operiert. Hätte er tatsächlich nach freiem Willen die Macht wie ein Künstler, dieses Bild oder jenes Bild zu malen, diese Performance oder jenes Theater zu machen, wäre das grauenvoll. Doch wenn selbst das schöpferische Genie die Hervorbringung eines Werkes nicht mehr per Kalkül, per Machtgeste oder per Meisterschaft garantieren kann, und nur noch stümperhafte Anfänger in der Politik, im Militär oder in der Kunst demonstrieren, was sie alles können, dann ist derjenige als ein echter Meister anzusehen, der sich auf das einlässt, was er eben weder beherrscht noch kann. Insofern ist jede Performance eine kunstgewordene Demonstration der Unmöglichkeit, Kunst zu machen, der Unfähigkeit der Künstler, je einen Anspruch auf das Gute, Wahre und Schöne in Einheit von Inkorporation, Inkarnation und Präsentation zu erfüllen. Gerade in dieser Grunderfahrung ist die Bedeutung der Performance-Aktionen anzusetzen. Ein Meister demonstriert seine Fähigkeit mit dem Unvermögen umzugehen, indem er mit Formen der negativen Ontologie arbeitet, die uns einerseits wirklich Gewißheit und Verbindlichkeit in der Erfahrung gibt, die uns anderseits zum Bewusstsein einer Grenze der Möglichkeiten führt. An dieser Grenze entlang operierten Happenisten, Performer, Fluxusleute immer, sie stehen gleichsam bei jeder Aktion wie Ernst Bloch an den Ufern des Rheins, und erfahren in der Performance die erschütternde und skandalöse Unmöglichkeit, je etwas anders wahrzunehmen als sich selbst. Als Bloch dies bewusst wurde, ist er darauf hin in Ohnmacht gefallen. Dieser Skandal, dass man nie aus dem Gefüge der eigenen seelischen Bewegung hinausgelangen könne, stellt gewissermaßen die exklusive Dynamik der Performance dar. Wer also öfter mal in Ohnmacht fällt oder alles fallen lässt, hat zumindest verstanden, dass selbst die Macht in Trümmern liegt und dass da nichts mehr zu machen ist. Wer das begreift, ist bereits in gewissen Sinne ein Performer, denn er mutet es sich zu, das Faktum weder zu leugnen noch vor ihm zu fliehen, sondern angesichts dessen Stand zu halten in der Erkenntnis, dem Ganzen nicht gewachsen zu sein. Und das ist Performance, ein Teil der grausamen Einsicht, dass wir zu jeder Zeit gefesselt sind an eine Welt, die jeder nur an und in seinem Körper wahrnehmen kann.

Redigiert von Christian Bauer.

siehe auch: