Der Prometheische Blick
Die Pompejianisierung des Blicks musealisiert die Zeit als Zeit der Erzählung; dem zufolge ist die wichtigste Aufgabe der Musealisierung, uns Zeit zu verschaffen.
Aus: Museen sind Schöpfer von Zeit. In: Die Re-Dekade. Kunst und Kultur der 80er Jahre. München 1990.
Im Bereich der Kunst hatte man seit der Renaissance versucht klarzumachen, daß die animistische Beseeltheit nicht in den Objekten liegt, sondern sich erst im Betrachter realisiert. Mit anderen Worten: Michelangelo schuf mit dem David keineswegs eine lebende Statue, wie das Pygmalion versuchte: die Verlebendigung ereignet sich erst in der Vorstellungskraft des Wahrnehmenden.
Aus: Kitsch als Objektmagie. In dem Ausstellungskatalog: Schlimmer als Kitsch und schöne Nippes. Gera 1997.
Theoretische Objekte
Die Erfinderin der Theoretischen Objekte war jene märchenhafte Fischerstochter, die vor ihrem König weder nackt noch beldeidet erscheinen sollte. Sie verfiel auf den genialen Gedanken, sich mit einem Netz ihres Vaters zu drapieren, einem Objekt, das mit seiner materiellen Beschaffenheit tatsächlich zwischen verhüllender Bekleidung und enthüllter Offenheit vermittelt. Genau diese Vermittlungsleistung kennzeichnet alle Theoretischen Objekte: Sie sind weder Kunstwerke noch funktional eindeutige Gebrauchsgegenstände. Das hört sich kompliziert an, ist aber ganz einfach, wie jedes Kind weiß, wenn es spielt.
Aus: Wa(h)re Kunst. Die Warenwunder tut die Madonna erst im Museum...Ausstellung im Deutschen historischen Museum Berlin 1996.
Totalitäres Denken
Systematisches Denken ist notwendig totalitär. Aber man verzichtet darauf nur um den Preis, daß man zum Impotenzler wird oder zum Affen von jedermann. Die einzige Möglichkeit von Wirkung ohne die fatale Gefahr der Unwiderleglichkeit ist die Kritik an der Wahrheit. Aber wenn man sich in der guten alten jüdischen Tradition verbittet, den Messias zu spielen, verliert man an Faszination.
Aus: Wer nicht über sich selbst spricht, hat nichts zu sagen. In: Der Barbar als Kulturheld. Köln 2002.
Gedächtnisruinen
Das Gedächtnis hat, das entspricht jedermanns Erfahrung, gleichsam ruinösen Charakter. Die Landschaften der Erinnerung sind bruchstückhaft, fragmentiert. Erst im Horizont aktueller Wahrnehmung schließen sich diese Trümmer des Gedächtnisses zusammen zu Vorstellungen dessen, was in keiner Erinnerung aufbewahrt ist, sondern nur neu geschaffen werden kann.
Aus: Wörlitz als Modell für das Gedächtnistheater des 20. Jahrhunderts. In: Weltbild Wörlitz. Berlin 1996.
Verhüterle
Inhalt und Form, Gestalt und Funktion der Waren sind nicht mehr identisch, können es nicht sein; sollen es nicht sein. Die einstigen Ideale der Gestaltung dienen nur noch als kritische Dimension, als Verhüterle, nicht aber als zu erfüllende Programme der Gestaltung.
Aus: Aids der Wünsche - Die Verpackung als Verhüterle. In: Die Re-Dekade. Kunst und Kultur der 80er Jahre. München 1990.
Duldungsstarre
Verlangsamung der Bewegungsabläufe, Vermeidung von Spontanäußerungen, Einschränkung der Sprechlautstärke, hypnotische Konzentration des Blicks, offenbarungsbereite Öffnung des psychischen Systems – diese Konditionierungseffekte des Museums sind auch unabdingbare Voraussetzungen für jeden Vollzug anderer sozialer Rituale.
Aus: Museen sind Schöpfer von Zeit. In: Die Re-Dekade. Kunst und Kultur der 80er Jahre. München 1990.
Vernichtung als Verehrung
Es ist leider kein Sophismus und keine dialektische Spielerei, wenn man aus den historischen Vorgängen das Fazit zieht, daß die Bilderstürmer (Ikonoklasten) aller Zeiten in Wahrheit die eigentlichen Bildverehrer (Ikonodulen) waren und sind, denn sie glauben an die Macht der Bilder als Ikonen, als Kunstwerke, als Architektur, ja auch als literarische Beschreibung und Auslegung und als musikalischen Ausdruck.
Aus: Der byzantinische Bilderstreit. In: Bildersturm. Die Zerstörung des Kunstwerks. München 1973.