Seit Homer Eos, die Göttin der Morgenröte. als "rosenfingrig" beschrieb, beherrscht die Rose in auffälliger Weise die poetische Metaphorik. Die Griechen führten in ihren sprachgeschichtlichen Überlegungen das persische Lehnwort roson auf ein Tätigkoitswort zurück, das in ihrer Sprache "fließen, strömen" bedeutete. Gemeint war der ausströmende Duft der Rosen, in dem sich nach Auffassung der Griechen eine Lebenssubstanz entfaltete. Dieses Pneuma alles Lebendigen war so faszinierend, weil es ätherisch war, also das sinnlich erfahrbar machte, was als Luft unanschaulich blieb. Dieser Duft erfüllte den Raum, machte ihn attraktiv. Anziehungskräfte wirken über Distanzen. Das hatte man längst an Insekten läufigen Hunden beobachtet. Allerdings schienen diese Anziehungskräfte sehr flüchtig zu sein. Dem versuchte man entgegenzuwirken, indem man sich bemühte, den Duft etwa von Rosen in Salben und Ölen festzuhalten. Wenn man sich die Salben und Öle auf die Haut auftrug, wurde man selber zu einem Attraktor mit fernwirkender Anziehungskraft. Bei antiken Gastmählern, also jener Art von Gesellung, bei der die wechselseitige Attraktion zwischen den Teilnehmern bis zur alle Sinne beherrschenden Erfahrung, also bis zur sozialen Erotik gesteigert werden sollte, bettete man sich auf Rosen, trug einen Rosenkranz und schmückte die Interieurs mit Rosengehängen. Weil die Rosen die fernwirkende Anziehungskraft derart steigerten, wurden sie zum Attribut von Aphrodite / Venus, aber auch der Sybillen, also der Repräsentantinnen von Sinnlichkeit und Spiritualität in den Beziehungen der Geschlechter. Die Sittengeschichte Europas wie des arabisch-persischen Raumes wurde vor allem von den Verhältnissen geprägt, in dem jeweils spirituell-mystische und sexuell-erotische Anziehung standen. Diese Verhältnisse wurden z.B. im europäischen Mittelalter, angeregt durch arabische Vermittlung sowohl antiker wie islamischer Auffassungen, zweifach ausgebildet: im Minnekult und in der Marienverehrung. In beiden Ausprägungen werden die spirituelle wie die sinnliche Komponente zur Geltung gebracht. Minne bedeutete eben Anziehung auf Distanz und nicht nur sinnliche Erfüllung. In der Marienverehrung dominierte zwar die spirituelle Komponente, aber in der sprachlichen Metaphorik wurde die sinnliche Ebene immer mitgemeint. So konnte die Rose zum Attribut der Madonna mystica wie der weltlichen Frau werden. Das marianische und das venusische Attribut „Rose" wurden nur durch die Art der Darstellung unterschieden. Diese Unterscheidung ist in viele Konventionen eingegangen und war bis in das 20. Jahrhundert hinein lebendig. In Benimmbüchern der 50er Jahre wurde zB. noch darauf aufmerksam gemacht, welchen Frauen man bei welcher Gelegenheit Rosen unterschiedlichster Farben und Stiellängen schenken durfte. In unserer jüngeren Geschichte kann man die Zeit zwischen Rokoko und Jugendstil als Blütezeit des Spiels der Vermittlung zwischen spiritueller und sinnlicher Attraktion im Zeichen der Rose hervorheben. In den Pariser Salons begegneten sich Aristokrat und bürgerlicher Künstler, Lebemann und Maitresse, Philosoph und Mäzenin. Die Kunstfertigkeit eine Konversation zu führen, bemaß sich an der Fähigkeit, erotische Bindungen aufzubauen; die Entfaltung der orgiastischen Sinnlichkeit verlangte eine Entgrenzung der Konvention bis hin zur Selbstaufgabe der Individuen.
Der französische Repräsentant des Rokoko, Marquis de Sade, will deswegen seine literarischen Werke zugleich als Philosophie des Salons wie als Handlungsanleitung für das Boudoir verstanden wissen. Der Stich Jean-Michel Moreaus von 1783 (umseitig [Le souper fin]) konzentriert sich auf den Moment, in dem sich die erotische Konversation zur sexuellen Sinnlichkeit entgrenzt. Auf dem Boden liegen Rosenbouqets, die eben noch Busen oder Schoß der Damen schmückten; die literarischen Zeugnisse, über die man eben noch Konversation machte, wandeln ihren Sinn – sie werden zu eindeutigen Botschaften der Sinnlichkeit. 1863 schildert Edouard Manet, wie zwei Künstler mit ihren Frauen einen Ausflug in einen stadtnahen Buchenwald machen, um dort zu picknicken. Der Inhalt des Picknickkorbs (Brot, Früchte und Getränke) wurde bereits zugesprochen. Nach dem Frühstück nahmen die Frauen im Flüßchen ein Bad - wie damals üblich mit leichter Bekleidung! Eine der beiden ist bereits zu den im Grase gelagerten Künstlerfreunden zurückgekehrt. Sie hat ihr nasses Hemd abgestreift und sitzt mit angezogenem rechten Bein, dessen Fuß sie bedenkenlos zwischen die Schenkel ihres Gegenübers setzt, und aufgestütztem rechten Arm so in der Runde, daß sie von der Seite her vom Betrachter wahrgenommen werden kann. Sie hat den Kopf zum Bildbetrachter gewendet, den sie mit heiter-gelassenem Blick aus dem Bilde heraus ansieht. Die zweite Dame ist im Hintergrund noch beim Baden zu beobachten. Sie wird unproportioniert groß wiedergegeben.
Offensichtlich soll damit auf den alten Bildtopos der Susanna im Bade angespielt werden, der die geilen Alten aus gehöriger Distanz mit eindeutigen Blicken nachstellen. Manet zeigt die Verwandlung des erotischen Blicks, der auf das distanzierte Spiel von Verhüllen und Enthüllen angewiesen ist, zur unmittelbaren Sinnlichkeit der Wahrnehmung, die Einverständnis voraussetzt. Die auf dem Waldboden einander gegenüber gelagerten Künstlerfreunde scheinen gerade über diesen Sachverhalt ein Gespräch zu führen, wobei sie völlig unbefangen die Anwesenheit Dritter hinnehmen. Der Hinweis auf die nackte Sinnlichkeit wird durch die völlig unnatürliche Lichtführung im Bild verstärkt.
"Sah ein Knab ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschön,
Lief er schnell, es nah zu sehn,
Sah's mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden."
(Goethe, Johann Wolfgang; aus: Heideröslein (nach der letzten Hand 1827)
Abbildungen:
S.131 Jean-Michel Moreau, Le soup fin, 1777.
S.132/133 Edouard Manet, Frühstück im Freien, 1863.
Der Eindruck einer Freilichtmalerei täuscht. Das Bild ist montiert wie eine Fotocollage mit vier Perspektivebenen (Picknickkorb, Badende und Mischwaldlandschaft). In jedem Weibe gleich die Venus zu sehen, desillusioniert die Erotik. Die sachliche Darstellung der Nacktheit verwandelt die venusische Madonna ins banale Objekt des männlichen Blicks.