1756 veröffentlichte der englische Philosoph Edmund Burke, ein Zeitgenosse Kants, seine Schrift „Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Idee vom Erhabenen und Schönen". Burke setzte damit einen harten Schnitt zwischen der Wahrnehmung des vom Menschen selbst Gemachten und der Wahrnehmung der Natur. Angesichts von Katarakten im Hochgebirge, von Schnee- und Sandwüsten, von tobendem Meer und wirbelnden Stürmen werden Menschen gezwungen, ihre Maßstäbe zu wechseln, ja jeglichen Maßstab aufzugeben. Menschliches Maß hat nur, was auf den Menschen selbst bezogen ist, also auf das, was er gestaltend verändern kann. Die Konfrontation mit dem, was keinem menschlichen Maßstab entspricht, also mit der entfesselten Natur, erzeugt im Menschen zwar Angst, die ihn anleitet, sein Leben zu bewahren. Wer aber nicht die lebensrettende Flucht ergreift, sondern dem Schrecken standhält, erfährt eine bemerkenswerte Verwandlung des Schreckens in das Gefühl der Erhabenheit. Dieses Gefühl entsteht, wenn wir unsere Begriffe des Weltverständnisses wie „unendlich" und „grenzenlos" oder „Ewigkeit" und „Zeitlosigkeit", „Dauer" und „Entwicklung" nicht mehr mit entsprechenden Vorstellungen begleiten können. In den Ausrufen „Das ist ja unfaßbar!" oder „Das überschreitet alle Vorstellung!" wird angezeigt, daß das Unfaßbare. Unvorstellbare oder Unsichtbare zwar mit Begriffen benannt werden kann. Aber die Begriffe bleiben leer, weil Vorstellungen oder Anschauungen nur Teilaspekte, nicht aber das Phänomen als Ganzes zugänglich machen können. Der Kosmos hat, soweit er entstanden ist, Grenzen. Sobald wir aber diese Grenzen begrifflich zu fassen versuchen, erfordert die Vorstellung, das einzubeziehen, was jenseits der Grenzen ist. Denn Grenzen sind nur aus der Unterscheidung von „diesseits" und „jenseits", von „innen" und „außen" zu definieren. Aus dieser Unvereinbarkeit von Begriffen und Vorstellungen, respektive ihren sinnlichen Vorläufern der Anschauung, wird man durch das Gefühl der Erhabenheit erlöst. Amerikanische Land-art-Künstler wie Walter de Maria, Robert Smithson oder Michael Heizer versuchten, in den Wüsten von New Mexico, Nevada oder Kalifornien Erhabenheit auch vor Menschenwerk bzw. der Herausforderung der Natur durch Menschenwerk zu erzeugen. Sie wurden dazu angestachelt, weil sie in den endlosen Weiten und Wüsten mit Lebensspuren der Pioniere konfrontiert wurden - etwa den bis heute im Boden sichtbaren Spuren der Treck-Wagen, der ersten Atombombenexperimente oder indianischen Siedlungstesten. Für sie stellte sich die Erhabenheit vermittelt über jenes Gefühl dar, das die Pioniere ergriffen haben muß, als sie sich den Zumutungen der Natur aussetzten. Aber gerade dieser Pioniergeist und seine erfolgreiche Durchsetzung verführten uns zu der Annahme wir könnten die Natur und ihre Dynamiken unter unser Kalkül stellen. Man glaubte, die Natur beherrschen zu können. Die Rückwirkungen dieser Allmachtsanmaßung bekommen wir mehr und mehr zu spüren. Dafür steht der von keiner Vorstellung erfaßbare Begriff „Weltklimaveränderung" mit seinen Spezifika „Treibhauseffekt", „Auflösung des Ozonschirms" oder „Polkappenabschmelzung". Als Land-Artisten die wackeligen Gehege der Stadtzivilisationen verließen, um in den Wüsten die vertrauten Maßstäbe der Kunstproduktion aufzugeben, respektive neue zu formulieren, glaubte das Publikum, es ginge nur um eine touristisch außerordentlich interessante Erweiterung des Raums der Kunst, dem Skulpturen der städtischen Landschaftsgärten eben nur in entsprechender Vergrößerung zu bestaunen seien. Aber bald schon brachte man es kaum noch zum Erstaunen, geschweige denn zum Gefühl der Erhabenheit, denn das Publikum war längst durch täglichen Blick aus Flugzeugfenstern und den Verlust der Erfahrung räumlicher Distanzen daran gewöhnt, selbst die Dimensionen der Erdwerker-Arbeiten als unerheblich zu empfinden. Zudem fehlten inzwischen allgemeine Übereinkünfte, künstlerische Formsprachen als Spiegelungen von Kosmologien oder als Projektionen des Himmels auf Erden zu lesen. Seither ist man genötigt, die Konzepte der Land-Artisten mit anderen Augen zu sehen: Erhabenheit vermitteln die Zeichen in der Leere gerade als Gesten menschlicher Ohnmacht. Das von Burke und Kant beschriebene Gefühl des „Sublimen" stellt sich vor den Wüsten als Sinnbildern der zunehmenden Vermondung der Welt ein. Zum Ort der erhabenen Gefühle wurden die Schlachtfelder und riesigen Müllhalden oder die Konfrontationen mit der Leere in unserem eigenen Inneren. Diese erhabene Leere beschrieb Georg Büchner vor 160 Jahren den Menschenkindern, denen keine Sternta1er mehr in den Schoß fallen: "Es war einmal ein arm Kind und hat kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingegangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war's ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu den Sternen kam, waren's kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein." (Büchner, Georg; aus: Woyzeck, ca. 1837)
Abbildungen:
S.232 und 233: Circumflex #2, Spalt, Michael Heizer, 1968, Nevada.
Mit schwerem technischen Gerät in den Wüstenboden gegrabene Zeichen für Suchbewegungen: auf sich zurückführend und im Zickzack voraus.