Es vermittelt intellektuellen Genuss, mit der Präzision seiner Unterscheidungskriterien jederzeit hinreichend begründete Urteile über das Echte und das Gefälschte zu haben. Da erfährt man etwas über die Art der Welthaltigkeit, nämlich des Bedeutendmachens. Der Kleinbürger würde sagen: "Die bescheuerten Wissenschaftler, sie können sich nicht einigen, sie wissen ja nicht, was sie sagen." Aber der Kenner, der "homo sapiens sapiens", sagt: "0h, wie raffiniert! Wunderbar! Hier gibt es sogar noch eine Ebene der Unterscheidung zwischen ‚wahr‘ und ‚falsch‘, im Hinblick auf die Möglichkeit, dass man mit der Falschheit besser auf die Wahrheit bezogen ist als umgekehrt!" Das kennen wir doch eigentlich.
Wenn ich lüge, dann sage ich ja bewusst nicht die Wahrheit. Ich bin also auf die Wahrheit bezogen. Ich muss also raffinierter sein als der, der bloß naiverweise die Wahrheit sagt. Dabei muss ich ja beim Lügen immer gleichzeitig einen doppelten Boden einziehen. Denn alles, was ich sage, muss ich umkodieren auf die Ebene der Lüge, und immer im Bewusstsein haben, dass die eigentliche Bedeutung ja etwas ganz anderes ist. Also ist der Lügner immer der Intelligentere. Beim Lügen ist er immer derjenige, von dem intellektuell mehr gefordert ist. Wer lügt, ist eben auf eine viel raffiniertere Weise auf die Wahrheit bezogen als der, der naiverweise nur das daherplappert, was er sowieso nicht anders sagen könnte. Dazu fehlt ihm die Intelligenz. Schaut man sich mal die Politiker an, die da herumschwatzen: was die uns für Wahrheiten erzählen. Mit denen muss man einen Strauß oder Wehner vergleichen, die konnten gleich fünffach lügen. Vor kurzem habe ich einen dänischen Film gesehen, in dem gezeigt wird, wie unser Außenminister Fischer lügen kann. In dem Gespräch ging es um den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Ich habe ihn für einen Ausbund von Idiotismus und linker Ideologie gehalten. Jetzt aber schätze ich ihn, denn ich habe erfahren, wie Joschka Fischer lügt, auf Teufel-komm-raus. Jetzt weiß ich, dass der Mann seine sieben Sachen im Kopf hat, der ist intellektuell ernst zu nehmen.
Seit der Antike gibt es eine Art Volkssport des Bilderfälschens. Das haben die nicht aus ökonomischen Gründen gemacht, weil es dabei nicht um nennenswerte Geldbeträge gegangen ist. Was sollte es dann also an Reichtümern einbringen? Natürlich hat man im Hellenismus schon Spolien, also Bruchstücke von antiken Säulentempeln, verkauft, nach heutigem Geldwert etwa fünf, zehn oder 15 Euro für ein Objekt. Das lag auf der Ebene von Taschendiebstahl, also Kleinkriminalität. Nein, auf das intellektuelle Vergnügen daran kam es an. Der "homo sapiens sapiens" freut sich, dass er in der Lage ist, die Kriterien des Unterscheidens austauschen zu können und sie im Hinblick auf das Verhältnis "wahr" und "falsch" oder "essbar / nicht essbar" genießbar umzuordnen.