1989 beendete Karla Fohrbeck (22) ihre umfassende Studie zum geschichtlichen und gegenwärtigen Wirken von Mäzenen in Kunst und Kultur. Karla Fohrbecks Fazit: Die Vielfalt der Interessen zwischen Wirtschaft, Kultur und Herrschaft wird nur selten von tatsächlichen Mäzenen aktiviert, denn es bedarf sehr viel mehr als einiger wohlwollender finanzieller Hilfestellungen, um ein Mäzen zu sein. Der genuine Mäzen unterwirft seine Interessen als Fürst oder Präsident, als Kaufmann oder Industrieller nicht den von ihm finanzierten kulturellen Aktivitäten, sondern er fördert sie, indem er den Künstlern Aufgabenstellungen vorgibt und nach Möglichkeit dafür sorgt, daß diese Aufgaben von den Künstlern mit hinreichendem Spielraum für Varianten und Gestaltungsalternativen auch realisiert werden können.
Wo finden sich heute solche Mäzene? Und wenn es sie gäbe, wer würde ihnen zugestehen, den auf ihre Autonomie so selbstverständlich pochenden Künstlern Aufgaben zu stellen, deren Anspruchsniveau die intellektuelle und gestalterische Fähigkeit der meisten Künstler weit überfordert? Der Mäzen ist kein guter Onkel für mildtätige Gaben, sondern der Partner der Künstler, dessen Sachverstand und Sichtweise zu respektieren sind – und dessen Eigenwilligkeit gerade in dem Maße ernstgenommen wird, in welchem er von den an ihn gerichteten Erwartungen abweicht. Solche Mäzene sind heute wohl rarer als zu allen historischen Zeiten der jüngeren europäischen Kunst- und Kulturgeschichte. Was wir hingegen reichlich haben, sind Sammler dessen, was ohnehin produziert wird; wir haben Sponsoren und öffentlich bestallte Kulturetatverwalter; wir haben vor allem PR-Abteilungsleiter in Unternehmen, die die hohe Akzeptanz vornehmlich der bildenden Künste in der Öffentlichkeit für ihre unternehmerische Selbstdarstellung zu nutzen versuchen. Das alles ist höchst ehrenhaft und wünschenswert, kaum aber mäzenatisch zu nennen. Kreativität stimulieren sie nicht!
Diese Feststellung erhält aber einen anderen Stellenwert, wenn man sich von einem der führenden deutschen Kunsthistoriker, von Martin Warnke (23) aus Hamburg davon überzeugen lassen muß, daß die Künste seit dem Mittelalter ihre staunenswerte Entwicklung gerade deswegen durchlaufen konnten, weil Fürsten und Bischöfe, Päpste und Könige, Kaufleute und Kriegsherren die Künste schlechtweg als PR-Maßnahmen und Werbeleistungen für ihre Unternehmungen, Weltanschauungen und Machtstrategien vereinnahmten. Warnkes Fazit lautet: Folgte man dem Beispiel historischer Kunstförderer, so müßten heute Werbung und PR-Propaganda als die eigentlichen künstlerischen Betätigungsfelder angesehen werden.
Und ist das nicht so? Machen nicht auch die Künstler, die noch nicht unmittelbar für Werbungs- und PR-Firmen arbeiten, eigentlich nur noch Reklame für sich selbst – zur Steigerung ihres Marktwertes und zur Steigerung ihres wirtschaftlichen Erfolges als Kleinfamilienbetrieb? (Eine vergessene Gruppe von tatsächlichen Mäzenen sind die Familienangehörigen von Künstlern.) Werden wir nicht alle, ob Künstler, Sammler oder Sponsoren, ob Museumsbesucher, Freizeitler oder Berufskulturler, in unserem angeblichen Interesse an den Hervorbringungen der Künste weitestgehend von der Faszination stimuliert, daß ein paar Quadratmeter bearbeiteter Leinwand Tausende, Hunderttausende, ja Millionen Mark einbringen? Und müssen wir nicht, um mit der Kunstproduktion in entscheidender Hinsicht, nämlich in wirtschaftlicher, ernstgenommen zu werden, geradezu darauf bestehen, daß künstlerische Leistungen heute bereits ein entscheidender Faktor zur Steigerung des Bruttosozialprodukts geworden sind (zumindest als angewandte Künste im Konsumgüterdesign, in der Mode, in der Unterhaltungsindustrie, in den Medien)?
Ja, so ist es, aber ist es schlecht so? Die gut begründete Vermutung, daß man selten aus Liebe heiratet oder aus Mitleid Sozialdienste leistet oder aus Bildungsinteressen studiert, sondern aus Gründen des Kalküls, der Lebensplanung, der Karriere und in realistischer Einschätzung der je eigenen Kraft zur Selbstbehauptung – diese Vermutungen haben keinesfalls die Liebe, die Humanität und das Verlangen nach einem erfüllten Leben verschwinden lassen. So wird es wohl nun auch mit der Bewertung kultureller Aktivitäten sein. Geldgier, Machtgelüste, Reklamezirkus und Ruhmsucht als Antriebskräfte der Künstler, Sponsoren und Kulturfreizeitler werden nicht dazu führen, das Ende jeglichen „tiefen, existentiellen“ Interesses an der Hervorbringung von Kunst und Kultur herbeizuführen.
Als Kultur definieren wir sinnvollerweise jenes Kommunikationsgeflecht zwischen Menschen, das zum Aufbau, zur Durchsetzung und zur Sicherung von Verbindlichkeiten in den Beziehungen der Menschen führt. Diese Verbindlichkeiten werden in der Rechtskultur mit anderen Verfahren und anderen Begründungen gesichert als in der Wirtschaftskultur oder in der Politik und im Sozialen. Offensichtlich ist das historisch einmalige Interesse aller Zeitgenossen an Kunst und Kultur heute darauf zurückzuführen, daß man vermutet, die Künste seien in der Lage, die durch den Abschied der Götter und ihrer kirchlichen Verwalter freigewordenen Positionen mit ihren Themen so zu füllen, daß sich die Zeitgenossen auf diese Problematisierungen lebenswichtiger Fragen durch die Künste gemeinsam einlassen und aus dieser gemeinsamen Orientierung Verbindlichkeiten in ihren Beziehungen zu etablieren versuchen. Die Künstler sind zu Ersatzgöttern für Nihilisten geworden; die Kunstwerke wurden in der spezifischen Logik höchstmöglicher menschlicher Selbstentfaltung an die Stelle des Glaubens, an die des wunderbaren Fortschritts der Gattung Mensch zur paradiesischen Befriedung des Daseins gesetzt.
Was bedeuten gegenüber dieser Sehnsucht der Menschen nach gemeinsamer verbindlicher Ausrichtung auf ein übergeordnetes Drittes selbst die noch so wahren Hinweise auf Korruption und Eitelkeit, auf Privatinteressen und Gaunertricks, mit denen mehr oder weniger alle Beteiligten sich den heutigen Kunst- und Kulturbetrieb persönlich nutzbar zu machen versuchen? Treibt's nur so hinterhäItig oder beliebig mit den Künsten, wie ihr wollt, ihr Dezenniengenies, ihr Pseudomäzene, ihr Sammler und Sponsoren, ihr Unterhaltungsidioten und Gaffer – ihr werdet das Verlangen nach der „großen, lebenserhellenden, zukunftschreibenden, erschütternden und tröstenden Kunst“ nicht zu zerstören vermögen; denn ihre Größe und Bedeutung haben die Werke der Kunst und Kultur vornehmlich als kontrafaktische Behauptungen, deren Postulate umso unabweislicher werden, je weiter wir in unserem tatsächlichen Umgang mit den Werken nur unsere eigene Kleinmütigkeit, Hilfsbedürftigkeit und bornierte Selbstbeschränkung zum Ausdruck bringen. Daß wir nicht die Affen sein wollen, die wir tatsächlich sind, das mag uns vielleicht rechtfertigen – als Künstler, Sponsoren, Sammler, Museumsbesucher oder Kunstsachverständige von Beruf. In welchem Interesse auch immer Kunst gesammelt und veröffentlicht, gehandelt und ausgebeutet wird: jede dieser Aktivitäten ist dann wünschenswert, wenn sie uns, und sei es als bloße Fiktion oder Absichtserklärung, mit einem Anspruch konfrontiert, den wir haben sollten, dem wir aber dennoch nur in raren Sternstunden des Lebens von Individuen und Kollektiven entsprechen könnten; ob das in Zukunft überhaupt noch möglich sein wird?
Nicht einmal in praktischer Hinsicht scheinen dafür Voraussetzungen zu bestehen. Die Kasseler Arbeitsgemeinschaft für Sepulkralkultur versucht, durch Aufarbeitung historischer Beispiele von Grabgestaltung die Zeitgenossen anzuregen, wenigstens auf ihre eigenen Grabmäler, die sie ohnehin bezahlen müssen, programmatischen und gestalterischen Einfluß zu nehmen; leider mit geringem Erfolg. Könnten die Herren nicht wenigstens sich selbst gegenüber als Mäzene auftreten, indem sie Künstlern die Chance bieten, in diesem merkwürdigen, aber sehr interessanten Objektbereich zwischen Architektur, Skulptur, Malerei sowie Biographie, Hagiographie und Propaganda Werke zu schaffen, die sonst kaum zustande kämen? Solche Werke zu ermöglichen, zeichnet den wahren Mäzen aus. Wären Künstler bessere Mäzene? Harry Kramer versucht seit Jahren, Kollegen für das Projekt „Künstlerfriedhof“ im Kasseler Habichtswald zu gewinnen; ebenfalls ohne großen Erfolg. Einige Künstler meinen, die Gesellschaft sei verpflichtet, ihnen ein Denkmal zu setzen, wenn man denn überhaupt eines wünsche; andere argwöhnen, man wolle mit ihren Schenkungen nur kostengünstig einen Skulpturenpark anlegen, um Touristen anzulocken. Aber das sind wohl nur Vorwände, um nicht eingestehen zu müssen, wie wenig ihnen zum Thema einfällt. Ihnen fehlen mäzenatische Herausforderer, vor allem deren Insistenz, nicht jedes beliebige Arbeitsresultat eines Künstlers als Bewältigung einer Aufgabe zu akzeptieren. Mäzene stellen Aufgaben und bieten die Voraussetzungen für deren Bearbeitung. Zum Selbstverständnis moderner Künstler scheint es zu gehören, sich nur noch selber Aufgaben zu stellen; ihnen von außen Probleme vorzugeben, empfinden sie als Eingriff in ihre künstlerische Autonomie und die Freiheit der Kunst. So haben die Künstler wesentlichen Anteil am Aussterben der Mäzene. Sie können sich als letzte darüber beschweren, keine mäzenatische Unterstützung zu finden.
• (22) Karla Fohrbeck: Renaissance der Mäzene, Köln 1989.
• (23) Martin Warnke: Vortrag zur Eröffnung des Basler Kunstmarkts 1989.