In: ERSTE, Magazin für das Deutsche Schauspielhaus Hamburg, Oktober/November 1985
Ein Mäzen sei ein Gönner der Künste und Wissenschaften, so hören wir allenthalben, also ein Mann, der Geld für etwas ausgibt, womit man keine Geschäfte machen kann – wenigstens auf Anhieb nicht. Die Verwertung des Wertlosen ist aber auf lange Sicht von unschätzbarem Wert: Das haben wir angesichts riesiger überfüllter Müllkippen inzwischen alle verstanden.
Ein Mäzen sei ein Mann wie Maecenas, von dessen Namen sich der Begriff ›Mäzen‹ ableite, wie sich der Schrebergarten vom Namen Schreber, oder wie sich der Begriff Daimler-Benz von zwei historischen Persönlichkeiten aus der Geschichte des Automobilbaus abstrahiere.
Mit historischen Ableitungen ist es so eine Sache. Daß der Herr Schreber das ganze Gegenteil eines gemütvollen Kleingärtners im Feierabendsonnenschein gewesen ist, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, ohne daß diese historische Aufklärung auch nur das geringste an der Charakterisierung und Einschätzung von Schrebergarten und -gärtnern geändert hätte.
So darf man denn getrost daran erinnern, daß Maecenas kein Mäzen war, ohne damit zeitgenössischen Mäzenen klarmachen zu können, daß sie keine Maecenasse sind. Und wo sie es sind, wollen sie es nicht sein.
Schokoladenfabrikant Peter Ludwig und Gemahlin werden gern von den Agenturen der öffentlichen Meinung als Mäzene gefeiert, weil sie Städten und Kantonen, Ländern und Staaten kostbaren Kunstbesitz schenken – aus idealistischer Gesinnung, aus Begeisterung für das Schöne und um glaubwürdiger werden zu lassen, daß wir tatsächlich eine Kulturnation seien (wenn nicht mehr die der großen Dichter und Denker, so doch vielleicht die der uneigennützigen Schenker).
Eine solche Auffassung von Mäzenatentum wäre dem historischen Maecenas als Verwechslung mit einer Haltung erschienen, die man seit rund zweihundert Jahren als Mucker- und Spießertum kennzeichnet. Preisfrage: Von welchem Spieß leitet sich das Spießertum her?
Der historische Maecenas hatte den Ludwigs immerhin Hoffnung machen können, sich nicht als Spießer verewigen lassen zu müssen. Er hätte als positiven Ansatz zu wirklichem Mäzenatentum gelobt, daß die Ludwigs sich für ihre Taten mit Professorentiteln und werbewirksamem Image entschädigen lassen und es vor allem fertig brachten, die Beschenkten zu zwingen, weit mehr Geld für die museale Unterbringung der Ludwigschen Geschenke zu investieren, als man für den Erwerb der Geschenke hätte aufbringen müssen. Dabei auch noch eine entscheidende Stimme in den neuen Museen für sich zu reklamieren, wie Ludwig das tut – das hätte Maecenas am meisten gelobt im Sinne eines leistungsfähigen Mäzenatentums. (Vgl. hierzu ›Zur Eröffnung des Museums Ludwig in Köln‹, Band IX, S. 470-474.)
Die Lebensdaten des Maecenas sind auch mit den Lebensdaten der beiden bedeutendsten Künstlerpersönlichkeiten verbunden, mit denen er im Laufe seiner sagenumwobenen Karriere Geschichte machte. Wie Vergil ist er 70 v. Chr. geboren; wie Horaz starb er 8 v. Chr.
Maecenas stammte aus einer alten etruskischen Familie; das ist von erheblicher Bedeutung, denn die Etrusker sind für die Römer immer schon Kulturbringer gewesen; sie beherrschten noch bis in das augustäische Zeitalter, das Maecenas mitbegründete, die maniera tusca, also die religiöse Praxis in Staat und Gesellschaft Roms. Die etruskischen Kulturbringer konnten sich seit den Anfängen Roms völlig zu Recht für eine der bestimmenden Kräfte des römischen Aufstiegs zur Weltmacht halten.
Die Etrusker wußten einerseits über das religiöse Leben und andererseits über den zivilisatorischen Alltag der Römer ihren Einfluß geltend zu machen, den sie mit Maecenas sogar als schicksalhafte Sendung der tausendjährigen etruskischen Kultur ansahen.
Maecenas' historische Tat bestand darin, bedeutende Künstler aufzuspüren, die sowohl die etruskische wie die römische Macht und Herrlichkeit auf einer höheren Ebene als weltgeschichtliche Fügung darzustellen und glaubhaft zu machen vermochten.
Die ›Aeneis‹ des Vergil ist das bekannteste Werk des goldenen Zeitalters, in dem die trojanische Kultur als gemeinsamer Ursprung der Etrusker und Römer zur Weltgeschichte prägenden Kraft erhoben wird.
Was also ist von einem Mäzen zu fordern, wenn er ein Maecenas sein will? Er hat Künstlern, Literaten, Wissenschaftlern Aufgaben zu stellen, die so anspruchsvoll sind, daß selbst die Fähigsten über viele Jahre mit größter Ausdauer und Intensität an ihrer Bewältigung zu arbeiten haben. Der Mäzen muß für diese Arbeit optimale Voraussetzungen schaffen, sei es, daß er die Künstler und Wissenschaftler von jeder anderen Verpflichtung freistellt, also freikauft; sei es, daß er die materialen und technischen Bedingungen so einlöst, wie das von den Beteiligten gefordert wird.
Der Mäzen hat die Aufgaben zu stellen und für deren Bewältigung Voraussetzungen zu schaffen. Er hat sich aber nicht als Herr des Verfahrens, sondern als ein Beteiligter unter anderen zu verstehen. Ein Mäzen verschenkt nicht Kunstwerke an Leute, die bewiesen haben, daß sie diese Kunst zu wenig interessiert, als daß sie dafür selber zu zahlen bereit sind. Ein Mäzen hält Kunstwerke für prinzipiell unbezahlbar, bezahlt werden können nur die Arbeitskraft und die Arbeitsbedingungen von Künstlern. Ein Mäzen schafft Lebens- und Arbeitsvoraussetzungen, anstatt bloß das ohnehin Entstehende einzusammeln.
Haben wir heute solche Mäzene? Ich wüßte keinen. Die Universitäten stellen die ihnen angehörenden Künstler und Wissenschaftler zwar von anderem Broterwerb frei, bieten aber so jämmerliche Arbeitsbedingungen, daß anspruchsvollere Programme nicht in Angriff genommen werden können. Die Industrie bietet andere Realisierungschancen, aber nur, wo sie sich als Richter über die Verwertbarkeit durchsetzen kann; von kontinuierlichem Arbeiten ohne Zeitdruck und von entsprechender moralischer Unterstützung kann nicht die Rede sein.
Maecenas machte deutlich, worin die moralische Unterstützung besteht: Nämlich in der immer erneuten Versicherung gegenüber den Künstlern und Wissenschaftlern, daß kulturelle Arbeit nicht nur ideologischer Fassadenzauber oder Festdekoration, sondern etwas für Selbstverständnis und Bestand einer Gemeinschaft fundamental Lebenswichtiges ist.
Unsere Verfassung verpflichtet uns zu einer solchen Auffassung. Wir haben nicht nur passiv die Freiheit von Kunst und Wissenschaft zu dulden, sondern aktiv Voraussetzungen ihrer Arbeit und Wirkung zu schaffen. Wir sind alle von der Verfassung aufgerufen, Mäzene wie Maecenas zu sein. Insofern wir mit unseren Steuern etwa Theaterarbeit ermöglichen, dürfen wir uns mit mehr Recht als Herr Ludwig für Mäzene halten. Um aber tatsachlich auch Maecenas zu werden, müssen wir den Künstlern gegenüber unser Verlangen ins Spiel bringen, von ihren Künsten her unser Leben, unsere Welt anders sehen und verstehen zu wollen. Daß uns das bisher nur selten gelingt, beweist sich leider allzu häufig, wenn etwa Theatermacher ihr Publikum mit matten Scherzen oder oberflächlichem Kunstphrasendreschen abspeisen.