1. Globe Theatre
Der zauberhafte Elfentanz in der Welt als Bühne der Träume und Phantasmagorien erfährt eine neue Inszenierung. Unter der Regie der Börsianer firmieren als Elfen nunmehr Cyborgs. Die Längen- und Breitengrade des Koordinatensystems der Welt umspinnen das Hirn samt Schädel jedes Individuums wie ein Tarnnetz. Das auratische Strahlen der Elfen, das tellurische Raunen und das sphärische Säuseln signalisiert nun der elektronische Fluss des Kapitals.
Die Phantasmagorien und Träume erhielten einen neuen Namen: Globalisierung. In der Tat ist Globalisierung fantastisch, also Hirngespinst, Wunschbild, blaue Blume – wenn denn Träume süß sind! Bereiten sie aber Schrecken, bezeichnet Globalisierung einen apokalyptischen Reiter, eine Chimäre, ein Medusenhaupt.
Die bisherigen Bewertungen des Denkbildes „Globalisierung“ beziehen Hoffnung und Schrecken so aufeinander, dass im ungefähren und unvorstellbaren globalen Raum, also in weiter Ferne, der Schrecken flackert und ganz in der Nähe, also lokal oder regional, die Hoffnung leuchtet.
Tatsächlich bietet die Inszenierung der Wunschvorstellung Futter, dass sich lokal die Hoffnungen konkretisieren und sich global die Befürchtungen ins Allgemeine verflüchtigen. Aber gerade diese Qualität der Inszenierung macht den Kontrast zu den realen Erfahrungen außerhalb des Globalisierungstheaters so deutlich: Lokal erfahren wir mit dem Hinweis auf die unabwendbare Globalisierung den Abbau von Arbeitsplätzen, Sozialsystemen und den Zerfall der Solidargemeinschaften, und ins Ungefähre der allgemeinen Weltentwicklung projizieren wir den Gewinn evolutionärer Höherentwicklung, technischer Optimierung, den irdischen Frieden und die Brüderlichkeit alles Lebendigen.
Das ist ein klassischer Plot, der seit Shakespeares Zeiten Globe Theatre heißt. Das allgemeine tragische Menschheitstheater ist immer nur an einem konkreten Ort sichtbar, eben glokal.
2. Glokal
Den konkreten Lebensraum, die Region Bergisches Land könnte man, siehe süße Träume, zum Strahlen bringen: tolle Leute, kreative Individuen, massenhaft gut ausgebildete Arbeitswillige; kurz: auch wir wären die Besten, wenn wir nur vergessen könnten, dass weltweit, also global, alle genau den gleichen Konzepten in der gleichen Absicht folgen. Bestenfalls könnte man sich noch für kurze Zeit die Dynamik aus der Geschwindigkeitsdifferenz zu Nutze machen, mit der überall auf der Welt das Gleiche intendiert wird. Danach aber wäre die schöne Unterscheidung von global und regional hinfällig, denn überall werden dieselben Konzepte mit denselben Mitteln und der gleichfähigen Manpower realisiert sein.
In bemerkenswerter Weise hätte sich die alte Utopie von der Einheit der Welt verwirklicht: das Nirgendwo im Überall. Da es nach allgemeiner Auffassung unmöglich ist, sich dieser Auslöschung der Utopie durch ihre Verwirklichung zu entziehen, indem man sich der Globalisierung verweigert, um die Region nach dem Muster des Staats im Staate zu autonomisieren, oder mafiotisieren, scheint es nur eine Chance zu geben,
Globalität und Regionalität zu vermitteln: go glocal.
Das heißt:
- Setze Standards, Anspruchsniveaus und Werthaltigkeit, die weltweit gelten sollten.
- Sorge dafür, dass die Rahmenbedingungen überall die gleichen sind.
- Wehre Dich gegen den Abbau der Qualitätsmaßstäbe für ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit, für Lebenssicherheit und persönliche wie soziale Verantwortlichkeit durch Freiheit, die im Namen der Globalisierung gegenwärtig auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückgestutzt werden.
Im Konkreten bedeutet das eine Friedensdrohung, die der alten Maxime si vis pacem para bellum zum Verwechseln ähnlich sieht. Die Träger dieser Friedensdrohung heißen bereits Rainbow Warriors. Die historische Gestalt der Wehrpflichtigkeit verwandelt sich in die Polizei- und Sozialdienstpflichtigkeit des Bürgers.
Anstatt dem schicksalhaften Veitstanz der Globalisierungschimären ergeben zuzuschauen, gilt es, Globalisierung unter Anerkennung von Standards zu denken, die wir für ununterbietbar halten. Es geht um den größten gemeinsamen Nenner. Und das heißt: Regionen werden als Lebensräume ausgezeichnet, wenn sie sich im Konkreten und Einzelnen auf die höchsten Standards als Messlatte ihrer Aktivitäten verpflichten.
Früher nannte man diese Regionen Provinzen mit ihrem Provinzialismus, weil man nur in den Metropolen und kulturellen Verdichtungszentren hohe Standards einfordern konnte. Mit dem Zerfall der Zentren in lauter separate Einheiten, z.B. Stadtteile, Ghettos, Funktionsräume, verloren sie die Kraft zur Einforderung und Befolgung von höchsten Standards. Provinzialismus grassiert in der größten Metropole, und die alten Provinzen als weitgehend noch einheitliche Regionen erhalten die Chance, zu Zentren der Verpflichtung auf Vorbildlichkeit zu werden.
3. Soziodesign
So erstmalig und neuartig auch die schicksalhaft drohende Globalisierung wie die programmatisch einzufordernde sein mögen – so gibt es doch zumindest einen historisch entfalteten Handlungsbereich, der für die anstehenden Fragen beispielhaft sein kann: Die Geschichte der Künste, der freien wie angewandten, im europäisch geprägten Kulturraum der zurückliegenden 600 Jahre.
In den oberitalienischen Stadtstaaten nahm ab 1300 die Gruppe der Humanisten ihre Beratertätigkeit für die Entwicklung zivilisatorischer Standards in den Kommunen auf. Das waren Gelehrte, die ähnlich wie die philosophes des 18. Jahrhunderts ganz handfest und praktisch ihre Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben und der Befähigung der Menschen zu einer solchen Lebensführung zu realisieren trachteten. Den Kern ihrer lebensweltlich gedachten Weisheit bildeten die Vorgaben des spätrömischen corpus juris justiniani aus dem 6. Jahrhundert, denn
die Humanisten waren der Überzeugung, dass die Entfaltung individueller wie kollektiver Potenziale nur sinnvoll stimuliert werden könne, wenn verbindliche Regeln durchgesetzt werden. Das Neue in der Begründung dieser Regeln (deren Einheit für alle Lebensbereiche als decorum ausgewiesen wurde) bestand darin, nicht mehr die normativen Absoluta von Wahrheit, Schönheit und Gutheit durchzusetzen; es galt vielmehr, um den je unterschiedlichen und sich beständig verändernden äußeren Bedingungen entsprechen zu können, mit der Wahrscheinlichkeit, der Angemessenheit und der Billigkeit zu kalkulieren.
Dieser wohlverstandene Pragmatismus zeitigte große Wirkungen, auch in allen historisch späteren Gemeinschaftsgründungen, die sich auf die Vergegenwärtigung, die „Wiedergeburt“ antiker, römisch-republikanischer Traditionen beriefen: im dritten Rom Peters des Großen, im vierten Rom von Jefferson und Washington, im fünften Rom des nachrevolutionären Napoleon, im sechsten Rom des Universal- wie Nationalsozialismus des 20. Jahrhunderts.
Noch in den gegenwärtigen Erörterungen zur Bürgergesellschaft, wie sie etwa die Communitaristen anstellen, bringt sich das Selbstverständnis der Humanisten zur Geltung. Sie verstanden sich als Soziodesigner.
Von den Italienern Alberti und Palladio über die Engländer Inigo Jones, Christopher Wren, John Soanes, William Morris, die Amerikaner Thomas Jefferson und die Gründer religiös fundierter Lebensgemeinschaften wie die der Shaker, die Franzosen Jacques Louis David und Claude-Nicolas Ledoux bis zu den Deutschen Gottfried Semper, Friedrich Schinkel, Hermann Muthesius und Walter Gropius ging es um das soziodesignerische Programm, durch künstlerische und architektonische Formgebung und Gestaltung das Verhalten der Individuen und Kollektive im Lebensalltag und Feiersonntag anzuleiten. Durch solche Formierung der Gemeinschaften sollten Individuen und Kollektive informiert werden über die Bedingungen eines gelingenden Lebens.
Die Standards der Formgebung als Informierung ergaben sich aus dem Spannungsverhältnis von Recht und Billigkeit, von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit, von Schönheitspostulaten absoluter Kunstautonomie und ihrer angemessenen Indienstnahme für die Lebensführung.
Diese ästhetischen, ethischen und epistemologischen Differenzen speisten die Entwicklungsdynamik auch ohne die schiere Ausbeutung von Ungleichzeitigkeit der agrikulturellen, technologischen, militärischen und politischen Entfaltung der über die ganze Welt verstreuten Lebensgemeinschaften/Kulturen. Das Schöne wurde zu einem fiktiven Postulat zur Bestimmung realer Hässlichkeit und deren Milderung, das Wahre wurde zum Bezugspunkt der Bestimmung und Relativierung von Wahrheitsansprüchen und das Gute erhielt den Rang eines Maßstabs, der angab, wie weit der unumgängliche Interessenegoismus die Gestalt altruistischen, auf die Beförderung allgemeiner Belange ausgerichteten Handelns anzunehmen vermag.
Die einzelnen soziodesignerischen Formgebungen zeichneten sich durch ihre Kraft aus, Individuen und Kollektive als Nutzer und Nutznießer zu befähigen, den Dingen der materiellen Welt, den Artefakten, einen Wert beizumessen und entsprechend mit ihnen umzugehen.
4. Berg und Tal
Beispielgebende Aspekte des Soziodesigns sind insbesondere:
- Die Erzeugung von Information ist ohne Formierung sozialer Gemeinschaften erfolglos. Als solche Gemeinschaften könnte man ansatzweise für den Bereich Design im Bergischen Land einige Firmen, Agenturen, den Landschaftsverband, Kunst- und Künstlervereine, Kultursekretariate, Designzentren, Messen oder das Wissenschaftszentrum NRW ansprechen. Die Fachbereiche der hiesigen Universitäten sind leider als solche Gemeinschaften nicht auffällig geworden, obwohl ihre einzelnen Mitglieder erhebliche Entwicklungsleistungen erbrachten. Sollten die Aktivitäten zur Stärkung der Region unter dem Druck der Globalisierung mehr sein als die Präsentation des ohnehin Vorhandenen, gilt es die Gemeinschaft derer herzustellen, die sich im Designbereich in der Region behaupten wollen.
- Die Verpflichtung auf höchste Designstandards ist unumgänglich - sowohl die der Rationalität, wie der Funktionalität, Gestaltqualität und Moral. Das Rationalitätsgebot meint: Die einzelnen Produkte müssen in übergeordneten Zusammenhängen rechtfertigbar sein, also z.B. in ökologischen Kontexten oder denen der Nachhaltigkeit. Das Funktionalitätsgebot verlangt, dass die Güter als solche tauglich sind, also tatsächlich die ihnen zugeschriebenen Funktionen erfüllen (wer je eine Leselampe in einem Hotel nutzen wollte, weiß, in wie geringem Umfang Funktionalität gewährleistet ist). Mit Gestaltqualität ist gemeint: Die Güter haben nach Form und Funktion nutzerfreundlich zu sein. Sie sollen nicht unter Verwendung von wohlgefälligem Oberflächenfinish vorgeben, etwas anderes zu sein, als sie sind. Mit der Unterwerfung unter moralische Kriterien ist zu erreichen, dass die Entwickler, Gestalter, Produzenten und Verkäufer von Produkten Werthierarchien anerkennen, sich zur Einhaltung von Geschäftsbedingungen bekennen, bewusste Übervorteilung der Konsumenten oder gar Täuschung nicht akzeptieren.
Soweit bereits Produzentenhaftung durchgesetzt ist, sollte ihr eine Konsumentenhaftung für den nachhaltigen Umgang mit den Produkten wie ihre Entsorgung entsprechen.
- Die Verpflichtung auf höchste Standards führt nicht zur Elitenbildung. Aus der Kunst und Designgeschichte erhellt, wie sehr die Herausbildung von Spitzenleistungen auf der Entwicklung und Förderung der Breitenleistung basiert. Dass ein Entwerfer, Hersteller oder Künstler in besonderer Weise ausgezeichnet werden kann, ist nur sinnvoll möglich, wenn damit die Wertschätzung des breiten Leistungsangebots verbunden ist. Ohne Breite keine Spitze, ohne Täler kein Berg – das sollte im „Bergischen“ Land klar sein.
Höchste Standards verpflichten also im Kunst- und Designbereich auf die Förderung der Breite.
- Konkurrenz in diesem Bereich ist also nicht Ausschließungs- oder gar Vernichtungskonkurrenz. Einzelne Künstler/Designer/Produzenten vermögen nur in dem Maße zu wirken, wie auch ihre Konkurrenten wirksam werden können.
Hilf und pflege deine Konkurrenten, damit sie für dich als Bezugsgrößen überhaupt brauchbar werden! (Dazu gibt es bereits Modelle der Wirtschaftstheoretiker.) Bisher hat man die Gemeinschaft der Individualisten, z.B. als Künstler, für einen Selbstwiderspruch gehalten – aber genau um diese Kooperation der Konkurrenten geht es, auch wenn sie, etwa im Kunstbereich, erst durch Galerien, Museen, Kunstvereine oder die Kunstkritik erzwungen wird.
- In ganz besonderem Maße lehrt die Kunst- und Designgeschichte: Das historisch spätere und als jeweils neuestes postulierte Produkt überbietet das vorausgehende nicht im Sinne einer Erledigung. Ein Michelangelo erledigt nicht die Leistungen eines Raffael, ein Richard Sapper erledigt nicht die Leistungen eines Wilhelm Wagenfeld.
Generell sind die neuen Produkte und ihre Nutzungsformen nicht als Lösungen bisher ungelöster Probleme zu verstehen, da unter dem Gesichtspunkt von Wahrscheinlichkeit, Billigkeit und Angemessenheit im Arbeitsverständnis der Humanisten Probleme nur durch die Erzeugung neuer Probleme „gelöst“ werden können. Die Bewertung der durch Problemlösung erzeugten Probleme fällt insbesondere unter die Anforderung des Rationalitätsgebots.
- Da sich im Kunst- und Designbereich nichts historisch Hervorgebrachtes durch aktuelle Produktion erledigt, ist der Gegenwart des Vergangenen durch Ausbildung von historischem Bewusstsein zu entsprechen (immerhin gibt es bereits Museen für die Güter der Alltagskultur und der Lebensformen, sowie Kunstgewerbemuseen bzw. Museen der Angewandten Künste).
Daraus folgt für eine Designinitiative Bergisches Land, dass sie vorrangig ihre Klientel, die Mitglieder ihrer Research Families und die Bewohner der Region zu professionalisieren habe, denn
- ohne verständnisvolle Nutzer kann sich auch das beste Produkt nicht als solches bewähren;
- ohne historisches Bewusstsein ist die Wertschätzung des Neuen gar nicht möglich;
- ohne die Fähigkeit zur Unterscheidung haben die einzelnen Produkte nur eine eingeschränkte Bedeutung.
Als Vertreter der Fächer Ästhetik und Kulturvermittlung habe ich meine Arbeit konzentriert auf die Professionalisierung der Konsumenten, Besucher, Betrachter und Zuhörer (Typus Besucher- und Sehschulen) und auf die Anleitung zur Nutzung von Unterscheidungskriterien in der alltäglichen Lebenswelt, wie sie Künstler und Designer entwickelt haben (Ästhetik in der Alltagswelt). Angebot offen, solange der Vorrat reicht.
Prof. Dr. Bazon Brock, Lehrstuhl für Ästhetik und Kulturvermittlung, Bergische Universität / GH Wuppertal