Im Zentrum der Vorhalle, von "Annäherung verboten" signalisierenden Absperrungen umgeben, ein Metallzylinder von etwa 2,50 m Höhe, dessen Außenhaut vollständig von Goldplättchen belegt ist; "wirklich Goldplättchen?" Jawohl, wie wir uns anhand hie und da aus der Oberfläche wehender Blattgoldfetzchen überzeugen können. Ein unpassender Scherz, eine Frivolität, Überheblichkeit, luxurierende Fassade, um hohle Kerne glänzend zu verbergen?
Auffällig ist, wie viele d 7-Künstler Gold- und Pretiosenbeschwörung betreiben: Kounellis, Fabro, Buthe, Salvadori, Horn, Laib und Nitsch. Sollte dieser Goldrausch der entschiedenste Hinweis auf Rudi Fuchs' Absicht sein, die Kunstwerke wieder kostbar werden zu lassen? Daß Gold kostbar ist, leuchtet jedem ein. Seien wir gutwillig, und suchen wir weniger banale Begründungen. Wir erinnern uns, hie und da mittelalterliche Goldgrundmalereien gesehen zu haben, oder Ikonen, Heiligenbilder, die Gold als ein entscheidendes künstlerisches Material zur Geltung brachten. Am Gold hing nicht nur alles, am Gold ließ sich auch demonstrieren, auf welche Weise uns die Welt bedeutsam werden kann: nämlich dadurch, daß wir alle Gegebenheiten in der Welt als Zeichen lesen, die nicht nur eine, sondern mehrere Sinnebenen zugleich zu repräsentieren vermögen.
Unmittelbar evident ist die Besonderheit des Goldes als Stoff. Die Seltenheit des Goldes und sein ökonomischer Wert stimulieren auf denkbar stärkste Weise unsere Beziehung zu diesem Material. Wir reagieren mit dem intensiven Verlangen, es besitzen zu wollen. Da wir es nicht besitzen, zwingt uns unser Verlangen, darüber nachzudenken, warum nicht wir, sondern andere es besitzen; wie unsere Identität, unsere Stellung in den Hierarchien der Gesellschaft mit dem Besitz beziehungsweise Nichtbesitz des Goldes zusammenhängen könnten.
ln dieser Hinsicht bilden wir die tropologische Sinnschicht zu "Gold" aus, indem wir ganz allgemein die Werthierarchien überdenken, die uns in unserem gesellschaftlichen Dasein beherrschen. Wie sollen wir reagieren?
Für die mittelalterlichen Menschen waren diese Werthierarchien des irdischen Daseins festgefügte Ordnungen, die Gott in gleicher Weise geschaffen hatte, wie er die materialen Bestände der Welt durch die Schöpfung geordnet hatte.
Auf der zweiten Sinnebene, der anagogischen Bedeutung, wurde zum Beispiel die Goldgrundmalerei als Verweis auf das himmlische Jerusalem und das Paradies lesbar. Anagogisch heißt "hinüberführend" aus dem irdischen Diesseits ins himmlische Jenseits, aus dem Jammertal ins Paradies. Goldgrund deutete auf den Goldhimmel, auf unvorstellbaren Glanz, das göttliche Licht jener Sphären, in die der Christ nach der Auferstehung der Toten und dem bestandenen Jüngsten Gericht in vollkommener Unversehrtheit an Leib und Seele einziehen würde.
Auf der dritten, der allegorischen Sinnebene wurde Gold als bildliche und materiale Vergegenständlichung eben jener höchsten Werte angesehen, die das Leben aus der Kraft des Glaubens beherrschen.
So wurde zum Beispiel im 12. Jahrhundert lange darüber debattiert, wie man denn den Begriff Kostbarkeit etwa in Verbindung mit dem Sakrament oder mit Reliquien auszudrücken vermöchte. Die einen meinten, man könne Kostbarkeit nur in seinem Verhalten und seinen Einstellungen annehmen, den Begriff selber aber nicht dinghaft machen. Die anderen meinten, ohne die Dinghaftigkeit des Begriffs Kostbarkeit, also ohne kostbare Objekte, lasse sich der Begriff nicht erfassen. Der Streit ging damals zugunsten der letzteren Auffassung aus.
Was besagt das für unsere Annäherung an die Arbeit von Byars? Zum einen erregt und stimuliert die Verwendung von Gold, wir können der Arbeit gegenüber nicht gleichgültig bleiben, sie zwingt uns durch Verwendung des Goldes sowohl zu gefühlsintensiver Reaktion wie auch zum Nachdenken darüber, ob nicht unsere Reaktion auf die Verwendung von Gold nur aus der Tatsache verständlich wird, daß wir es nicht besitzen, es aber besitzen möchten, obwohl wir wissen, daß Gold eben nichts anderes ist als totes Material, wie alle anderen Materialien auch.
Auf der zweiten Bedeutungsebene stellt Byars die Frage, wie wir denn heute das für uns Kostbarste ausdrücken und was denn das für uns Kostbarste wohl sein mag. Wenn man Byars vor seinem Turm (wie in den ersten documenta-Tagen) agieren sähe, könnte man aus seiner Aktion entnehmen, daß (nach Byars' Meinung) unsere Fähigkeit, Fragen zu stellen, das Kostbarste ist.
Er demonstrierte eine erste Philosophie, die vollständig aus Fragen besteht. Daß das keine Banalität bleiben muß, kann jeder leicht feststellen, der spontan aufgefordert würde, die doch angeblich sein Herz bis zum Halse aufrührenden Sinnfragen nun tatsächlich zu stellen. Und selbst wenn es uns gelingt, manche dieser Fragen tatsächlich hervorzustottern, dann doch nur, weil wir auf sie verbindliche Antworten erwarten.
Auf der dritten Ebene, der allegorischen, ist Byars Goldturm die Vergegenständlichung des künstlerischen Schaffens als Sehnsucht nach dem von Anfang an Vollkommenen und allumfassend Bedeutsamen. Um das zu zeigen, hatte Byars geplant, seinen Turm mit jeweils wechselnden Bekrönungen zu versehen, um ihm tatsächlich einen Abschluß aus der Form heraus zu geben. Jetzt aber bleibt der Zylinder ohne Abschluß; die Vollendung war nicht leistbar, alle ausprobierten wechselnden Abschlüsse befand Byars als unzureichend. Die Vollendung ist nicht leistbar.